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Nader und Simin – Eine Trennung

„In einer Gesellschaft, in der Frauen unterdrückt werden, können auch die Männer nicht in Frieden leben“

Erste Einstellung: Vor dem Scheidungsrichter in Teheran. Die Frau will das Land verlassen, sieht nicht, wie sie hier ihrer Tochter eine Zukunft geben kann. Der Mann wehrt sich. Er kann seinen an Alzheimer erkrankten Vater nicht einfach so zurücklassen. Sie solle aber gehen, wenn sie muß. Die Scheidung wird abgelehnt.

Dann setzt sich in Asghar Farhadis Film etwas in Gang, daß einem die Luft nimmt, so nah geht er heran an seine Figuren, so gekonnt unauflösbar verbleiben die Fragen nach Schuld, Recht und Wahrheit. Simin verläßt ihre Familie und zieht zu ihren Eltern mit dem Wissen, daß sie ein Gefüge mit festen Rollen aushebelt. Zunächst soll es für sie ein Experiment sein. Nader ist zu stolz, sie zum Bleiben zu bitten, und Termeh, die 11jährige Tochter, möchte einfach nur, daß die Eltern wieder zusammenfinden. Die neue Hausangestellte Razieh übernimmt die Pflege des kranken Vaters, weil sie die Schulden ihres arbeitslosen Mannes abtragen möchte. Eigentlich kann sie diese Arbeit nicht ausführen, denn als streng gläubige Muslimin darf sie keinem Mann beim Umziehen helfen, in einem Haus, in dem es keine Ehefrau mehr gibt. Vor allem nicht, ohne ihren Mann um Erlaubnis zu fragen. Außerdem ist sie schwanger und völlig erschöpft. Als sie den alten Mann alleine läßt, um kurz zum Arzt zu gehen, kommt es zu einer Krisensituation, die alle Beteiligten an den Rand ihrer eigenen Existenz führt.

Farhadi erzählt eine auf dem ganzen Erdball verständliche Geschichte über die Machtkonstrukte einer Ehe und die Situation zweier starker, höchst unterschiedlicher Frauen im Iran, die einfach nur versuchen, ihr Leben zu gestalten. Dabei werden die Restriktionen eines politischen Systems deutlich, in dem Frauen um banale Rechte kämpfen müssen. Im Rückschluß auf die im Film gezeigten männlichen Lösungsansätze kann man aber auch darin viel Universales sehen.

Asghar Farhadis Familientragödie – denn das ist sie vor allem, wenn man schon nach Beschreibungen sucht – führt den Zuschauer mit Wucht gekonnt in eine emotionale Pattsituation, in eine Ausweglosigkeit, die körperlich erfahrbar wird.

Der Film hat auch die Jury der diesjährigen Berlinale umgeweht und zu Recht den Goldenen Bären gewonnen. Er begeistert durch eine meisterliche Besetzung und arbeitet mit einer dokumentarischen Kamera, die einen vergessen läßt, daß man hier einer Fiktion gegenübersitzt. Manchmal kommt man den Facetten der „Wahrheit“ näher, wenn man sie inszeniert.

Originaltitel: JODAEIYE NADER AZ SIMIN

Iran 2011, 123 min
FSK 12
Verleih: Alamode

Genre: Drama, Familiensaga

Darsteller: Leila Hatami, Peyman Moadi, Shahab Hosseini, Sareh Bayat, Sarina Farhadi

Regie: Asghar Farhadi

Kinostart: 14.07.11

[ Susanne Schulz ]