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Samaria

Die Fallstricke der Barmherzigkeit

Kim Ki-duk gehört ohne Frage zu den aufregendsten und stilsichersten Regisseuren der Gegenwart. Bequem sind seine Filme nicht unbedingt. Diesmal transportiert er den Topos der heiligen Hure in ein kaltes, liebesbedürftiges Seoul. Sein Samariter-Mädchen ist eine Hobby-Prostituierte. Kann eine Teenagerin dadurch Gutes tun, daß sie ihren Körper an ältere Männer verkauft? Jae-Young hat jedenfalls ein Vorbild: die indische Hure Vasumitra, die Männer glauben machte. Ihre Freundin Yeo-Jin hat die Zuhälter-Rolle übernommen und leidet unter jeder echten Zuneigung Jae-Youngs zu ihren Freiern. Bis diese bei einem Sprung aus dem Fenster zwar der Sittenpolizei entwischt, dafür aber mit dem Leben bezahlt.

Schlechtes Gewissen treibt Yeo-Jin dazu, das Geld an die Freier zurückzugeben, indem sie selbst mit ihnen schläft. Doch zur Erlösung führt das noch lange nicht. Denn aus der Perspektive ihres Vater bricht eine Welt zusammen. Er verfolgt die jeweiligen Freier und verabreicht ihnen eine Lektion, die nicht nur einen von ihnen in den Tod treibt. Anschließend geht der Vater mit seiner Tochter auf eine innere Reise in die Berge. Die erschreckende Gewalt liegt nun hinter uns, und die Geschichte atmet die Luft der Spiritualität, die den eigentlichen Rahmen des mit Legenden und religiösen Motiven durchsetzten Filmes bildet.

Zwar wirkt die Szenerie im Gegensatz zu FRÜHLING, SOMMER, HERBST, WINTER ... UND FRÜHLING viel realer und weniger parabelhaft, doch SAMARIA ist kein Sozialdrama, sondern eine überaus komplexe Bild-Reflexion über die Chancen von Erlösung und Gerechtigkeit in einer beziehungslosen Welt, in der Kommunikation durch das stets unpassende Handy-Klingeln bestimmt wird. Wie weit muß man gehen, um Verständnis, ja Liebe zu erreichen? Bei Kim Ki-duk schmerzlich weit. Die Welt muß einmal aus den Angeln gehoben werden, und selbst danach ist der Weg ins Paradies, der Weg in die Kindheit, versperrt. Die Bilder dazu sind von beeindruckender Ökonomie und Ausdrucksstärke. Endlich wieder eine wahre Film-Erzählung, die zwar weh tut, aber Cineasten glücklich macht.

Originaltitel: SAMARITAN GIRL

Korea 2004, 95 min
Verleih: REM

Genre: Drama

Darsteller: Lee Uhl, Kwak Ji-Min, Seo Min-Jung

Regie: Kim Ki-duk

Kinostart: 09.12.04

[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...