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Shandurai und der Klavierspieler

Bertolucci scheitert auf hohem Niveau

Es ist seltsam: manchmal stimmt eigentlich alles oder wenigstens vieles, um einen guten Film entstehen zu lassen. Ein renommierter Regisseur, gute Schauspieler, eine an sich ganz ordentliche Literaturvorlage, interessante Schauplätze ...

Und dennoch geht alles oder wenigstens vieles schief. Bertolucci, der in den 90ern ohnehin künstlerisch schwächelte und erst mit DIE TRÄUMER zur Brillanz zurückfand, versuchte, der Kurzerzählung DIE BELAGERUNG von James Lasdun den Odem einer beinahe epischen, zwischen den Kontinenten spielenden Liebesgeschichte mit politischem Couleur einzuhauchen - und scheiterte auf hohem Niveau. An sich taugt die spröde erzählte, ungewöhnliche Liebe zwischen Shandurai, die ihr afrikanisches Land durch Flucht vor der Diktatur verlassen mußte, nachdem ihr Mann politischer Häftling wurde, und dem introvertierten englischen Pianisten Kinsky zum großen Thema. Doch Bertolucci wollte viel mehr als das Aufeinandertreffen zweier Kulturen: psychologisieren, aufrütteln, emotionale und parallel politische Mißstände aufzeigen, was immer schief geht, wenn das dann eher schmale Skelett der Vorlage nicht die breitschultrige Ambitioniertheit eines Mahners tragen kann.

Kinsky, einst ein großer Hoffnungsstern am Londoner Klassik-Himmel, lebt nun eremitengleich in Rom, in einer abgeranzten, charmant-morbiden Stadtvilla, die Bertolucci (wie schon öfter in seinen Filmen) als Kulisse geschickt ins Szene setzt. Shandurai putzt für Kinsky, neben ihrem Studium. Eines Tages gesteht der Sonderling ihr seine Liebe. Dieses irgendwie betörend schwache und ergreifend hilflose Geständnis eines Weltfremden, dieses flehende Offenbaren einer verschlossenen Seele, erzählt Bertolucci dann mit viel Gespür für Tempo, Stimmung und Scham. Und genau so hätte er weiter machen sollen ...

Shandurai weist Kinsky vorerst ab, daraufhin tut der alles, um ihrem Mann zur Freiheit zu verhelfen. Irgendwann im Film, nämlich dann, wenn das Interesse des Zuschauers gleich mit der aufbrausenden Schönheit Shandurai auf einer der langen, schlangenartigen Wendeltreppen des Hauses in Richtung Keller geflohen ist, dann wird’s auch Shandurai ganz plötzlich warm ums Herz. Zu spät.

Zu spät, um das Politische des Films ernst nehmen zu können, zu spät, um an eine "verzögerte" Liebe zu glauben, zu spät, um den Herzschlag des Betrachters für irgendeine der Opfergaben in Gang zu bringen.

Originaltitel: L’ASSEDIO / BESIEGED

I/GB 1998, 93 min
Verleih: Alamode

Genre: Drama, Liebe, Literaturverfilmung

Darsteller: David Thewlis, Thandie Newton

Regie: Bernardo Bertolucci

Kinostart: 03.03.05

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.