Originaltitel: A MONSTER CALLS

USA/Spanien 2016, 109 min
FSK 12
Verleih: StudioCanal

Genre: Erwachsenwerden, Fantasy, Drama

Darsteller: Lewis MacDougall, Toby Kebbell, Felicity Jones, Liam Neeson, Sigourney Weaver, Geraldine Chaplin

Regie: Juan Antonio Bayona

Kinostart: 04.05.17

6 Bewertungen

Sieben Minuten nach Mitternacht

Kino pur – bildgewaltig und anrührend!

Das sind Träume, die wünscht man nicht mal seinem Feind. Einem sensiblen Jungen wie Conor gleich gar nicht. Sie kriechen immer wieder in seinen Schlaf, pünktlich um 0.07 Uhr: finstere Träume von einem zusammenkrachenden Haus, einem sich zur Schlucht auftuenden Friedhof, von Conors sich in Gefahr befindender Mama. Im realen Leben geht es ihr tatsächlich nicht gut, sie ist schwer krank, wie schwer, verheimlicht sie ihrem Kind, das ohnehin ziemlich früh erwachsen werden und sich auch noch gegen manchen Idioten seiner Schule wehren muß.

Der blasse Junge nutzt jede Chance zur Flucht – manchmal wörtlich, wenn in der Schule wieder Prügel drohen, oder hinein in Kinowelten, wozu einer der hinreißendsten Momente des Films gehört, wenn Conor und seine Mama knatternde 16mm-Filmklassiker wie KING KONG UND DIE WEISSE FRAU schauen. Dann strahlen endlich die Augen des geprüften kleinen Kerls. Immer wieder zeichnet Conor bis tief in die Nacht, das liegt ihm, bis plötzlich wieder pünktlich dieses allnächtliche Grollen beginnt, Stifte zu kullern anfangen, Möbelstücke sich bewegen und eine sehr tiefe Stimme, die im Original der kernigen Kehle Liam Neesons entspringt, seinen Namen ruft. Und auch wenn Getöse und Szenario furchteinflößend sind, die Worte „I Have Come To Get You, Conor O’Malley!“ aus dem Mund eines sich aus einer Eibe schälenden Monsters mit einem gespenstischen Hall unterlegt sind, in diesen Momenten hat der Knabe mit den großen Ohren keine Furcht. Das Monster, dem feurige Lava durch die Arme fließt, hat auch nichts Schlechtes vor, im Gegenteil: Conor soll von den Alpträumen berichten, das Monster erzählt ihm dafür drei Geschichten von Wehr, Mut und wie man Dämonen besiegt.

Und spätestens hier sei gesagt: Nein, ein Kinderfilm ist das nicht, ein Horrorfilm auch nicht, und als Märchenstunde taugt dieses meisterliche Werk aus der Hand Juan Antonio Bayonas ebensowenig. Es ist Kino pur! In dieser bildgewaltigen, musikalisch bestens begleiteten Geschichte über Verlust, Trauer und den Kampf gegen den miesen Verräter Schicksal stimmt alles: Sensibel, still und dabei dennoch mitreißend erzählt, ohne unnötige Zeitgeistzugeständnisse, ohne schnöden Tonspurgrusel, dafür mit Szenen in entzückender Old-School-Animation entflicht sich ein großer Film über das Erwachsenwerden, über Verdrängung und Akzeptanz, über Rebellion und Gehorsam. Bayona hat im feinsten Cinemascope von 1:2,39 gedreht, seine Bilder brauchen tatsächlich jeden Millimeter. Es sind Bilder, die sich ins Gedächtnis eingraben, wenn Conor um seine Mama kämpft, es ist zum Händeklatschen, wenn in der Schule durch Unterstützung des Baummonsters die Karten neu gemischt werden.

Bayona hätte es sich einfacher machen, den Regeln des Mainstreams gehorchen und tatsächlich glatter erzählen können. Aber das wäre nichts geworden, Perlen vor die Säue, ist doch seine Geschichte auch eine vom Träumen, und davon verstehen viele nichts. Schon daher lag er richtig und erzählt überbordend phantasievoll von Mut und Übermut, vom Festklammern und Loslassen. Vom Leben eben, mit allen den dunklen Seiten darin, die sich manchem zu früh zeigen.

Es rührt zu Tränen, wie der Junge das Leben aus seiner Mama weichen sieht, und dennoch bleibt für immer etwas Unverbrüchliches zwischen Conor und seiner Mutter. Wenn man wirklich ins Gesicht des jungen Darstellers Lews MacDougall schaut, dann erkennt man, daß sein Conor längst Bescheid wußte, wie es um seine Mama steht. Und wenn man dann noch ein wenig vom echten Schicksal des kleinen MacDougall weiß, dann ringt einem dessen Performance nochmals größeren Respekt und tiefste Anrührung ab.

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.