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Solo für Sanije

Ein Protokoll der Ungreifbarkeit

Noch bevor die Titel erscheinen, gibt es eine kleine, wunderbare Szene; nur ein Blick, über die Schulter, hin zur Kamera, die aus einigem Abstand beobachtet. Sanije Torka wartet vor dem Frauengefängnis Reinickendorf. Ein Freigang nähert sich dem Ende. Und als es soweit ist, als das Tor sich öffnet, dreht Sanije Torka im Hineingehen der Kamera ihr Gesicht zu. Sie lächelt, wie eine Schauspielerin, die einen gelungenen Abgang gibt.

Konrad Wolfs letzter Film hieß SOLO SUNNY (1980). Ein Film über eine Sängerin, die sich an der Enge der DDR aufreibt. Ein Film, um den sich schnell das diffuse Gewebe des „Kults“ spann und der auch heute noch unter älteren Ost-Cineasten schwer identitätsstiftend ist. In jedem Fall zeichnet Wolfs Film, nach einem Drehbuch von Wolfgang Kohlhaase, das Porträt einer schönen, starken, faszinierenden Frau. Im wahren Leben hieß die Sanije Torka. Sie, Sanije, war die Frau, die Kohlhaase zur Sunny inspirierte.

Und die jetzt wiederum Alexandra Czok in diesem Film porträtiert. Oder es versucht. Denn SOLO FÜR SANIJE zeigt ein Bild verwischender Kontur, ist ein Protokoll der Ungreifbarkeit. Die Ursachen dafür liegen vielleicht schon in biographischen Eckdaten: Sanije Torka wuchs bei Pflegeeltern und in Heimen auf. Eine abgebrochene Schlosserlehre, eine Schauspielausbildung, kleinere Filmrollen, Sängerin. Ein gescheiterter Fluchtversuch in den Westen, eine IM-Tätigkeit. Nach der Wende die Karriere als professionelle Diebin. Frauenknast. Dort findet ein Großteil der Gespräche statt, die Alexandra Czok mit Sanije Torka führte. Und man schaut dabei in das Gesicht einer Frau, die von früh auf lernte, sich zu behaupten – und zu verstellen. Den Eindruck, daß sich da jemand hinter Masken in Sicherheit brachte, wird man nicht los. Sanije Torka kann in einem Ton plaudern, der alles in Unverbindlichkeit kleidet. Das wirkt wie kalkulierte Naivität. Wie ein schon vor Jahrzehnten verselbständigtes Schauspiel. Das Schauspiel „Mein Leben.“

Und man fragt sich: Was liegt darunter? Einsamkeit? Bloße Exaltiertheit? Wer ist, was fühlt diese Frau? Der Film findet keine Antwort. Es sei denn, man liest es als Antwort, wie der Film sich in schönen Impressionen verliert: die stillen Gänge im Frauengefängnis, das Licht vorm Zellenfenster, das gemeinsame Kochen der Inhaftierten, ihre Gespräche. Da erliegt SOLO FÜR SANIJE dem Zauber der Tristesse. Und ja: Vielleicht ist der Film in diesen Momenten Sanije Torka tatsächlich am nächsten.

D 2009, 79 min
Verleih: Eigenverleih

Genre: Dokumentation

Regie: Alexandra Czok

Kinostart: 10.09.09

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.