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Stiller Sommer

Ausbruch aus der Fremdsteuerung

Ein Sommerhaus mit Pool und eine aufgeheizte Atmosphäre, die unter all der schwülen Trägheit wabert – das ist das Lieblingssetting der Autorenfilmer, um Konflikte zu rahmen, die schon lange brodeln. So läßt Nana Neul auch Kristine, Kunsthändlerin in den besten Jahren, in den Süden Frankreichs entschwinden, weil es ihr endgültig die Sprache verschlagen hat. Herbert, ihr Mann, will das Sommerhaus in den Cevennen verkaufen, um in seine psychiatrische Praxis zu investieren. Kristine trifft dort überraschend auf ihre Tochter Anna, die ihre vermasselte Uni-Prüfung mit Hilfe der Affäre mit Franck, einem gutaussehenden Dorfbewohner, überwinden möchte. Und auf die alten Aussteigerfreunde – Künstler, Individualisten und Althippies, mit denen sie vor 20 Jahren ihre Sommer verbrachte. Am nächsten Tag reist auch Herbert an, und das Spiel kann beginnen. Denn Kristine schweigt konsequent und scheint es zu genießen. Es gibt nichts mehr zu sagen, alles hat sich entleert, und das Haus, dieser Ort, steht für den Verlust von so vielem. Franck beginnt Kristine Avancen zu machen, und sie flirtet zurück.

Schön ist es, dabei zuzusehen, wie Dagmar Manzel der Kristine eine federnde Leichtigkeit verleiht, ein Selbstverständnis, mit ihrem Körper umzugehen und sich hinwegzusetzen über alle Rollen, die das Leben ihr bis zu diesem Punkt abverlangt hatte. Sie ist nicht mehr länger die erfolgreiche, gebildete Frau. Sie ist eine, die begehrt und gesehen wird, die lachend alles über Bord schmeißt, was eh schon längst schal geworden war. Denn warum ausgerechnet dieses unbewohnte Haus zwischen den Eheleuten steht, hat natürlich seine Vorgeschichte, die Neul langsam Schicht um Schicht entblättert. Ihr gelingt dabei eine fast heitere Aufdröselung vielerlei Lebenslügen, die, wenn sie nicht so tragisch wären, zum Lachen wären. Denn wer will schon, nachdem die Jugend vorbei ist, wissen, warum da niemals das unverstellte Begehren sein konnte zwischen einem selbst und dem Mann, der Frau. Warum da immer etwas war, eine unsichtbare Kraft, die nicht in der eigenen Hand lag, die einen selbst jedoch davon abgehalten hat, das zu bekommen, was man eigentlich wollte, um glücklich zu sein?

Neuls präzises Gefühl dafür, Situationen und Stimmungen zu zeichnen und das hervorragende Schauspielerensemble lassen dieses sommerliche Kammerspiel zu einem überraschenden und nachhallenden Kinoerlebnis werden: Denn am Ende sind wir nur ein Gewirr aus Stimmen, die sich immer wieder die eigene Geschichte erzählen. Bis wir eines Tages aufwachen oder sterben.

D 2013, 88 min
FSK 6
Verleih: Zorro

Genre: Drama, Poesie

Darsteller: Dagmar Manzel, Ernst Stötzner, Marie Roas Tietjen

Regie: Nana Neul

Kinostart: 10.04.14

[ Susanne Schulz ]