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The Cemetery Club

Vergangenheitsbewältigung mit Herz und Humor

Lena ist erbost. Wie kann Nichte Tali bloß einen Film über sie drehen und ihn dann THE CEMETERY CLUB nennen?! Schließlich trifft sich Lena, gestandene 80 Jahre alt, zwar jeden Samstag mit ihren Freunden auf dem Nationalfriedhof Mount Herzl in Jerusalem. Doch ein "Friedhofsverein" sind sie nicht! Nein, man bringt Essen und Klappstühle mit, diskutiert, liest Gedichte, trotzt der Einsamkeit. Dabei fungiert Lena, ein sehr dominanter Charakter, als so etwas wie die heimliche Anführerin.

Ganz anders Schwägerin Minya, eine eher schweigsame Seele. Ihr einige Worte zu entlocken, fällt schwer. Doch wenn Minya dann einmal spricht, vergißt sie die Kamera und öffnet sich, berichtet darüber, daß sie jede Nacht von ihrem verstorbenen Mann träumt. Lenas Schlaf wiederum ist weniger erholsam. Alpträume plagen die Überlebende des Naziregimes noch heute, oft wacht sie schreiend auf. Ein Schicksal, welches jedes Mitglied der samstäglichen Gemeinschaft teilt. Alle haben den Holocaust durchlitten, bewältigen in langen Debatten ihre Vergangenheit. Die Zeit arbeitet dabei unerbittlich gegen sie – stirbt ein Gruppenmitglied, ehren es die anderen öffentlich. Man schämt sich seiner Tränen nicht, zumal die Kamera solche traurigen Momente stets respektvoll und unaufdringlich einfängt.

Trotzdem begegnet sie Lena, Minya und den anderen häufig erstaunlich unbeschwert, wagt sogar Ausflüge ins Komische. Es ist beispielsweise einerseits schlicht herzzerreißend anzusehen, gleichzeitig aber auch liebevoll ironisch präsentiert, wenn die gegen Ende bereits stark geschrumpfte "Mount Herzl Academy" ihre Treffen in ein Pflegeheim verlegt und die Satzung schon fast penibel entsprechend anpaßt. Auf das Mitbringen von Klappstühlen darf nun nämlich verzichtet werden.

Was man diesem sensiblen, klugen und genau beobachtenden Generationenporträt letztlich entnimmt, geht über die Grenzen einer Dokumentation weit hinaus. Eine Ode an die Stärke der Frauen, eine Verbeugung vor dem Alter, schließlich ein bewegendes Denkmal für die Überlebenden der Shoah – all das steckt in 90 Minuten, welche tatsächlich zeigen: von "Friedhofsverein" keine Spur.

Originaltitel: MOADON BEIT HAKVAROT

Israel 2006, 90 min
Verleih: Ventura

Genre: Dokumentation, Schicksal

Darsteller: Lena Bar, Minya Rubin, Tali Shemesh

Stab:
Regie: Tali Shemesh
Drehbuch: Tali Shemesh

Kinostart: 20.09.07

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...