Originaltitel: THE SISTERS BROTHERS

F/Spanien/Rumänien/USA/Belgien 2018, 121 min
FSK 12
Verleih: Wild Bunch

Genre: Western, Thriller

Darsteller: John C. Reilly, Joaquin Phoenix, Jake Gyllenhaal, Riz Ahmed

Regie: Jacques Audiard

Kinostart: 07.03.19

6 Bewertungen

The Sisters Brothers

Wer Audiard sagt, muß jetzt auch Western meinen

„Gesunde Zähne – gesunder Körper“ stand dereinst auf einem tiefroten Plastikbecher, den der Autor von Taddaeus Punkt, einem tragenden Charakter des DDR-Kinderfernsehens, persönlich überreicht bekam. 1966 war das, stolz wie Bolle das Kind. Western waren damals längst eine eingeführte Größe im Kinoalltag, ob Italo oder US, atmeten die Klassiker sogar Hoch-Zeit-Luft. Was die Zahnbotschaft mit einem, wie es aussieht, unsterblichen Leinwandgenre zu tun hat? Die Bürste!

Der Franzose Jacques Audiard hat jetzt einen Western gedreht. Huch, das böse Wort mit W! Fein, das gute Wort mit W! Je nach Gemengelage der Geschmäcker wird man sich staunend freuen oder darüber ärgern, daß der geniale Schöpfer solch überwältigender Dramen wie DER WILDE SCHLAG MEINES HERZENS, EIN PROPHET oder DER GESCHMACK VON ROST UND KNOCHEN überrumpelt wurde. Wo Audiard doch, wie er bekennt, so gar keine Beziehung zum Western hatte. Sie seien ihm in stattlicher Zahl zu wenig „nervenaufreibend“ gewesen. Dann traf er den begnadeten Schauspieler John C. Reilly und dessen Produzentenfrau Alison Dickey, die ihm Patrick deWitts Roman „The Sisters Brothers“ ans Herz legten. Dorthin also, wo er hingehört. Der Film liegt nun an dieser Stelle genauso wenig falsch.

Sie sind wirklich Brüder und heißen wirklich Sisters. Grundverschieden sind die beiden, ein Umstand, über den sich noch heute viele Eltern beim Betrachten ihrer Kinder wundern. Eli ist eher ein Schelm, der sich ein Nachdenken gönnt, bevor er abdrückt. Als Älterer steht ihm das zu. Charlie, der sich als Chef postiert, ist hingegen ein Fluffi, ein Säufer und Hau-drauf-auf-die-Gusch’. Als Jüngerer darf die Bahn ruhig schiefer sein, auf die man gerät. Zu zweit sind sie, verbunden durch ein väterliches Trauma, effizient bei jedem noch so dreisten Job im Dienste ihres Commodore, eines kühlblütigen Provinzfürsten, dort in Oregon, 1851.

Gold ist das neue Fieberwort. Als der Commodore erfährt, daß der Chemiker und, wie sich herausstellen wird, Gesellschaftsvisionär, Hermann Kermit Warm eine Formel besitzt, um das edle Metall leuchtend zu schürfen, will er sie besitzen. Die Sisters sollen das für ihn erledigen, Morris, ein Handlanger, soll spähen. Zu zweit ziehen sie los, bald werden sie zu viert sein. Und es nicht lange bleiben.

THE SISTERS BROTHERS steht in bester Tradition derjenigen Filme jüngeren Datums, die das Westernsegment nutzen, um es auf neue Weise zu verinnerlichen, zu hinterfragen, eben nervenaufreibender zu machen. TRUE GRIT wäre zu nennen, MEEK’S CUTOFF und FEINDE – HOSTILES sowieso, sogar GOLD des Deutschen Thomas Arslan. Sie schauen dem Western in seine Seele und suchen seine Entsprechung im Zeitgeist: unaufdringlich, lakonisch, melancholisch, stimmig. Denn die Figuren sind Charaktere, keine Schablonen. Hier ist es vor allem Eli, den ein Tuch an die Liebe erinnert, und der nur ein Pferd hat, um es zu zeigen. Der eine Zahnbürste kauft, dieses noch unbekannte Gerät, weil er deren Potenzen ahnt. Der sich vorstellen kann, vom Töten in naher Zukunft zu lassen, nur nicht weiß, wie es zu schaffen wäre.

Audiard, der besonnene Ästhet, mißtraut dem Western nicht, sondern den Klischees daraus. Und füllt ihn auf eigene Art auf, ja, sogar aus.

[ Andreas Körner ]