Noch keine Bewertung

This Is England

In weiter Ferne, so nah

Manchmal dauern nicht nur Wunder etwas länger, sondern auch Selbstverständlichkeiten. Und solche sollten es eigentlich sein, die Filme Shane Meadows’ eben da zu zeigen, wo sie hingehören: auf der großen Leinwand! Aber sein aufwühlendes Rache-Drama DEAD MAN’S SHOES hat es bloß zur deutschen DVD-Auswertung gebracht, und THIS IS ENGLAND erschien Ende 2007 ebenfalls nur fürs Heimkino. Wie gut, daß es die Schaubühne gibt, welche sich jetzt doch zum Start entschloß. Glücklicherweise in der Originalfassung, da die furchtbare Synchronisation viel Atmosphäre raubt.

Und gerade letztere ist so wichtig in Meadows Schaffen, THIS IS ENGLAND lebt gleichsam vom speziellen Mix aus Gänsehautmusik, kargen Bildern voller Kraft, flackernden Blicken sowie Dialogen ohne gekünstelten Anstrich. Es fehlt genauso an hohlen Klischees, weshalb die Gruppe englischer Skinheads, welche den 12jährigen Shaun anno 1982 quasi adoptiert, eben nicht dumpf faschistisch gezeichnet wird, sondern eher als Gegenbewegung zum strikten Regiment der Ära Maggie Thatcher. Shaun, dessen Vater im Falklandkrieg fiel, nimmt die freundschaftlichen Bande dankbar an, ist er doch ein gern verlachter Außenseiter ohne soziale Kontakte. Erstmals lernt der Junge Gemeinschaft kennen, verliebt sich gar in ein schräges Mädchen, alles scheint perfekt. Bis zum Tag X, an dem Cosmo aus dem Zuchthaus kommt, ein Ex-Mitglied der Gang, verführerisch in seiner verbalen Kraft, für Shaun bald eine Art Ersatzvater. Weshalb plötzlich Gewalt ins Leben des Halbwüchsigen einzieht, denn Cosmo haßt Fremde wie die Pest ...

Geradezu virtuos zeichnet Meadows das Bild einer Generation zwischen Orientierungslosigkeit und Selbstfindung, er berichtet vom Verlust der kindlichen Unschuld und analysiert, worin Ausländerfeindlichkeit ihre Wurzeln schlägt, mit facettenreichen Figuren, immer auf den Punkt genau, niemals platt inszeniert. Meadows’ fausthiebartiges Werk treibt dann zwar am Ende durch unkommentierte Bilder des Falklandkrieges (nicht allein) dessen Sinnlosigkeit und Opfer auf die Spitze, er klagt an und konstatiert bitter: Das ist England. Der universellere, eben auch unangenehme Verdienst seines Films bleibt aber, daß man sich angesichts geifernder Parolen à la „Die Einwanderer stehlen unsere Arbeitsplätze“ oder „Wir müssen kämpfen“ zwangsläufig fragt: Ist das tatsächlich nur England?

Originaltitel: THIS IS ENGLAND

GB 2006, 98 min
Verleih: Ascot

Genre: Drama, Erwachsenwerden

Darsteller: Thomas Turgoose, Stephen Graham, Jo Hartley, Andrew Shim, Vicky McClure

Stab:
Regie: Shane Meadows
Drehbuch: Shane Meadows

Kinostart: 29.01.09

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...