Originaltitel: VALLEY OF LOVE

F 2015, 93 min
FSK 0
Verleih: Concorde

Genre: Drama

Darsteller: Isabelle Huppert, Gérard Depardieu

Regie: Guillaume Nicloux

Kinostart: 21.01.16

1 Bewertung

Valley Of Love

Großes Schauspielerkino als Film der Elemente: Strafe, Hitze, Wut, Schmerz und Liebe

Man sagt, daß es nichts Schlimmeres gibt, als sein Kind zu verlieren. Nichts Grauenvolleres, als wenn das eigen Fleisch und Blut vor einem selbst geht. Das mag ganz ernsthaft geäußert sein, es bleiben dennoch Phrasen in den Ohren derer, die unmittelbar oder in tiefster Zuneigung betroffen, ach was, getroffen sind. Es gilt doch ohnehin: Der Tod ist immer der Tod der anderen. Dabei läßt sich ein derartiger Verstoß gegen die natürliche Ordnung nicht numerisch oder eben auf der Gefühlsskala benennen, für derartige Invasionen gibt es kein Maß und keine Worte.

Und dennoch oder deswegen hat sich nun der Filmemacher Guillaume Nicloux gewagt, einen Film über den Verlust eines Sohnes zu machen, und er hat das einzig Richtige getan – kein Klagelied, keine Tränenelegie, dafür eine kluge, wütende und eben dadurch so anrührende Reflexion über Ohnmacht gedreht. Mit den richtigen Schauspielern, an einem fernen Ort, in befremdlicher Kulisse, die in ihrer bizarren Kargheit durchaus als Seelenspiegel von Isabelle und Gérard stehen mag.

Die beiden waren ein Paar, das ist lange her, so lange, daß sie mittlerweile neue Familien gegründet haben. Doch auch sie und ihr Sohn Michael waren eine Familie, eine richtige, mit all den Zerrüttungen und Zerreißproben, die Familie häufig mit sich bringt, bis sie sich trennten, aus den Augen verloren und nun, im Tal des Todes, im heißen Kalifornien, abertausende Meilen von Frankreich entfernt, durch ihr totes Kind wieder zusammentreffen. Einen Brief hat Michael beiden geschrieben, kurz vor seinem Selbstmord, darin benannt ein Ort, ein ungefährer Zeitraum, sie sollten beide da sein, dann kehre er zurück. Natürlich ist dieser Brief nicht zu verstehen, dieses „Was machen wir hier?“ ist von bedrückender Hilflosigkeit.

Der Philosoph Alain Badiou meinte in seinem Buch „Das Sein und das Ereignis“, daß das Subjekt erst durch das Ereignis entsteht, und dieses darf eben auch sinnlos sein, wie Michaels Tod. Doch durch diesen sind Isabelle und Gérard eben hier, gemeinsam, sie haben ihren Jungen sieben Jahre nicht gesehen, die Machtlosigkeit im Umgang mit Michaels Suizid äußert sich darin, als daß es nichts zu erklären gibt, man eigene Schuld wegschiebt, vielleicht hatte Michael Aids? Schließlich Resignation: „Man weiß nicht viel über die eigenen Kinder. Wir verpfuschen eben alles.“

Es sind irritierende, teils sehr kunstvoll arrangierte Bilder, die Nicloux und sein Kamera-mann Christoph Offenstein wählten: Die ordinäre Americana aus hitzeflirrenden Pools und bunten Shorts im Sound großer Vans und kleiner Gespräche, dem gegenüber eine faszinierende Landschaft, die Demut einfordert. Man erliegt den „Zeichen“ Michaels, gemeinsam wie Isabelle und Gérard – die Berge, das wandernde Licht, die Wolkenbänder, Schatten und akuten Hautreizungen. Der Verlauf der Reise bleibt rätselhaft, auch für den Betrachter, der Reiz liegt im Vagen, in den vorsichtigen Annäherungen und Bekenntnissen, und wenn Gérard Grobes beichtet wie „Ich habe Dir mal eine gelangt“, selbst dann schwingt eine ungefähre Zärtlichkeit mit, um die es Michael bestimmt gelegen war, als er seinen Eltern letzte Zeilen schrieb. Ihm lag nichts am Brechen seiner Eltern, ganz im Gegenteil, dieses Zermatern, diese immanente Trauer, diese Angst, daß einen nix mehr trägt, konkludiert spätestens an diesem eigenartig gewählten 12. November 2014 im von Schmerz und Zuneigung forcierten Zusammenrücken und in der Erkenntnis, daß man jemanden, wenn überhaupt, dann für immer liebt.

Dieses Einlassen auf das manchmal mythisch Anmutende fällt nicht schwer – allein durch das präzise Spiel von Isabelle Huppert und Gérard Depardieu. Wie verlassen Hupperts Augen schauen können, endlos traurige blaue Seen, wie trotzig selbstbewußt und dennoch zerbrechlich Depardieu diesen immensen Bauch trägt, dazu das hüftsteife Humpeln, all die ganze beschissene Lebenslast. Natürlich könnte man es manieriert finden, wenn Figuren wie die Schauspieler heißen. Hier ist es aber genau das Gegenteil, Nicloux traut sich ans eigentlich Unerzählbare, das erfordert diese Unbedingtheit, diese extreme Nähe, und gerade Depardieu verlangt diese Rolle als Gérard sicherlich viel Mut ab, schied auch sein Sohn nach endlosem Schmerzensleid aus dem Leben.

Scheinbar hält sich Nicloux in der Figurenzeichnung an den französischen Schriftsteller Philippe Forest, für den nach dem Verlust der Tochter feststeht, daß man sich gegen das vulgär-psychologische Gerede von der Notwendigkeit, Trauerarbeit zu leisten, auflehnen muß. Es gibt nun mal keinen guten Tod, es bleiben vor allem hilflose Wut und rausschreiendes Aufbegehren.

VALLEY OF LOVE ist ein Film der Elemente: Strafe, Hitze, Wut, Schmerz und Liebe. Und es ist dieser Moment der Katharsis, hier im Mosaic Canyon, bei der einem fast das Herz zu zerreißen droht, die aber für eine eben nicht numerisch zu benennende Macht steht, die wie nebenher Gewißheit gibt, mit VALLEY OF LOVE einen der ungewöhnlichsten Liebesfilme überhaupt gesehen zu haben.

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.