Originaltitel: VERMIGLIO

I/F/Belgien 2024, 119 min
Verleih: Piffl

Genre: Drama

Darsteller: Tommaso Ragno, Roberta Rovelli, Martina Scrinzi, Giuseppe De Domenico

Regie: Maura Delpero

Kinostart: 24.07.25

Vermiglio

Kraftvoll, poetisch, tief verwurzelt

Vermiglio ist ein Bergdorf im Trentino. Am Passo del Tonale gelegen, ist der Ort einer, wie ihn sich der moderne, also der touristisch verseuchte, Blick idyllischer oder auch landschaftlich imposanter kaum vorstellen könnte. Und vielleicht ist das größte der vielen kleinen Wunder, mit denen jetzt der Film VERMIGLIO aufwartet, daß er, allen einschlägigen Gefahren trotzend, weder mit Idyllen bezaubert noch mit Erhabenheit überwältigt. Stattdessen pflegt Drehbuchautorin und Regisseurin Maura Delpero einen geradezu ethnographischen Gestus beim Erzählen ihrer Geschichte. Was auch heißt, sie pflegt eine ganz bestimmte Kinotradition, die heute so selten geworden ist, daß man sie fast für ausgestorben halten könnte. Daß VERMIGLIO jedenfalls schon mit Ermanno Olmis Meisterwerk DER HOLZSCHUHBAUM verglichen wurde, hat seine guten Gründe.

1944: Vor dem dunklen Schatten des Krieges verläuft das Leben in Vermiglio unbeirrt in traditionellen Bahnen. Die Welt mag in Flammen stehen oder in Schutt und Asche liegen, aber die Tiere müssen trotzdem gefüttert, das Feld bestellt werden. Das gilt für die Bauern und Handwerker ebenso wie für den Dorflehrer, einen angesehenen Patriarchen zwischen Strenge und Melancholie, samt seiner vielköpfigen Familie. Und das gilt selbst für den jungen Deserteur, der sich, halb geduldet, halb beargwöhnt, in Vermiglio versteckt hält. Aus Sizilien stammt der und macht, was man im Dorf über alle Männer sagt, die aus dem Krieg kommen: Geheimnisse hüten, als hätte man ihnen die Zunge abgeschnitten. Diese Verschlossenheit ist es, die ein Drama heraufbeschwören wird, das eng mit der Familie des Lehrers verwoben ist.

VERMIGLIO erzählt von diesem Drama mit einer stillen, geradezu insistierenden Genauigkeit. Das große Aufwallen, der melodramatische Effekt sind verbannt. Doch wie sich die Charaktere der Figuren konturieren und zum Familien- und Dorfporträt fügen, ist von einer kontemplativen inneren Spannung. Und einer solchen Schönheit ebenso. Delpero weiß ganz genau, was und wie sie erzählen will. Es ist ein Erzählen, für das der russische Kameramann Mikhail Krichman wie einst bei LEVIATHAN ein Glücksgriff ist. Für den Wechsel der Jahreszeiten, für das Beobachten von Alltagsverrichtungen, für die Blicke in Landschaften und Gesichter findet Krichman Bilder, die kraftvoll, poetisch, unverbraucht sind – und zugleich auf eine tiefe Verwurzlung verweisen. Sich aus Traditionen speisend, die auch solche des Kinos sind.

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.