Originaltitel: FÚSI

Island/DK 2015, 94 min
FSK 12
Verleih: Alamode

Genre: Tragikomödie, Poesie

Darsteller: Gunnar Jónsson, Ilmur Kristjánsdóttir, Sigurjón Kjartansson, Franziska Una Dagsdóttir

Regie: Dagur Kári

Kinostart: 12.11.15

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Virgin Mountain

Riesig mit Herzen

Dagur Kári ist ein erfahrener Entdecker abgelegener Welten. Schon vor über zehn Jahren feierte der isländische Regisseur mit seinem Erstlingswerk NÓI ALBINÓI Kinoerfolge. Der poetische Film über einen eigenwilligen Jugendlichen spielte nicht nur am nördlichen Ende des Erdballs, sondern gab auch Einblicke in verborgene Seelenlandschaften, die Menschen nur höchst selten freilegen.

VIRGIN MOUNTAIN ist wieder so eine sensible Charakterstudie. Kári erzählt die Geschichte eines einsamen Bären. Fúsi ist Mitte 40, wiegt weit über 100 Kilogramm und sortiert Gepäckstücke am Flughafen. Viel mehr gibt es über diesen Mann kaum zu sagen, wird sein Alltag höchstens durch militärische Strategiespiele oder abendliche Radiosendungen aufgepeppt. Doch Fúsi scheint auf den ersten Blick nicht an der Gleichmütigkeit seines Alltags zu kranken, auch nicht daran, daß seine Mutter, mit der er zusammenlebt, täglich seine Butterbrote schmiert. Bis dann doch eine Frau in sein Leben tritt, die sich durch Fúsis dicken Panzer bohrt und sein Herz berührt.

Doch Sjöfn hat selbst mit ihren Dämonen zu kämpfen, und so läßt Kári diese beiden verlassenen Seelen umeinander kreisen, sich gegenseitig bestärken, einander entdecken und doch scheitern. Wenn es so etwas wie Scheitern in der Liebe überhaupt gibt. Das ist unendlich romantisch und herzerwärmend, gleichzeitig aber auch tragisch. Denn im Grunde bebildert Kári die langsam voranschreitende Emanzipation eines Mannes, der den Absprung ins Erwachsenenleben lange Zeit verpaßt hatte und nun merkt, was es heißt, für seine eigenen Rechte und Gefühle einzustehen, für andere da zu sein. Fúsi ist fast erstaunt über diese ihm unbekannte Art von Zufriedenheit, die er nun empfindet, und die das ewige Um-sich-selbst-Kreisen ablöst. Es tut unendlich gut, diesem Entwicklungsschritt beizuwohnen, den der isländische Schauspieler Gunnar Jónsson mit wenigen Worten, dafür mit enorm starkem Ausdruck und viel Feingefühl geht. Als hätte er ein neues Zimmer betreten, von dem er nicht wußte, daß es existiert.

VIRGIN MOUNTAIN feierte in diesem Jahr seine Weltpremiere auf der Berlinale und wurde auch schon beim New Yorker Tribeca Filmfestival hoch gelobt und mit Preisen überhäuft. Zu Recht. Selten wurde die Komplexität menschlichen Miteinanders so feinsinnig durchleuchtet wie von Dagur Kári.

[ Claudia Euen ]