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Wahrheit oder Pflicht (2004)

Katharina Schüttler macht blau

So schwammig der Titel des Filmes, so klar ist die Ausgangslage. Annika wurde nach der 12. Klasse nicht versetzt. Doch sie bringt es nicht übers Herz, es ihren Eltern zu beichten, weil die sich nichts sehnlicher wünschen als das Abitur ihrer Tochter - und weil sie einfach keinen Mumm hat. Jeden Morgen verläßt sie mit Rucksack das Modellhaus auf der grünen Wiese und fährt statt in die Schule in ihr selbstgewähltes Tages-Domizil: ein ausrangierter Reisebus am Rande einer Plattenbausiedlung. Wer einmal den richtigen Zeitpunkt verpaßt hat, die Wahrheit zu sagen, findet auch am nächsten Tag keine Gelegenheit dazu und verstrickt sich von Tag zu Tag, von Woche zu Woche immer stärker in sein eigenes Lügengebäude.

Was Laurent Cantet in AUSZEIT, in dem ein Familienvater den Verlust seines Jobs verschweigt, zu einem Seelen zerstörenden Sozial-drama ausbaut, ist für Jan Martin Scharf und Arne Nolting Anlaß für eine gepflegte Komödie. Mit viel Freude an den Fallstricken der Geschichte schicken sie Annika durch einen Parkur aus Schwierigkeiten und peinlichen Situationen, wobei sie es auszunutzen wissen, daß der Jugend ja ohnehin schon immer alles peinlich ist. Wie der unfreiwillige Gang zum Mathe-Nachhilfelehrer, oder wenn der Vater darauf besteht, seine Tochter anläßlich einer Klassenfahrt vor dem Reisebus zu verabschieden. Statt in die Schule geht es für Annika nun in die Lebensschule. Und da darf denn auch der Hauch der Freiheit und der ersten wirklichen, nämlich voraussetzungslosen Liebe nicht fehlen.

Soweit die Pflicht. In Wahrheit trägt allerdings Katharina Schüttler den Film. Mit größter Natürlichkeit und Naivität verkörpert sie die tolpatschige 18jährige, die mit jedem Schritt grundsätzlich alles noch viel schlimmer macht, und offenbart in dieser Rolle ein ungemeines Talent fürs Komische. Damit rettet sie nicht nur über die etwas konstruierte Familienkonstellation hinweg, sondern überhaupt darüber, daß die soziale Dimension der Figuren zwar angedacht, aber nicht ausgeführt wird.

Schade bleibt es nichts desto trotz, daß Nolting und Scharf nach konsequenter Handlungsführung, ähnlich ihrer Hauptfigur, dann offenbar der Mut fehlt, die Geschichte zu einem klaren Ende zu bringen.

D 2004, 90 min
Verleih: Zorro

Genre: Erwachsenwerden, Teenie

Darsteller: Katharina Schüttler, Thomas Feist, Jochen Nickel, Therese Hämer

Regie: Arne Nolting, Jan Martin Scharf

Kinostart: 01.06.06

[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...