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Was Männer sonst nicht zeigen

Schwitzen, trinken, reden oder: Die Geburt eines neuen Kinogenres

Was haben Kino und Sauna gemeinsam? Sie können ein Ort des Erzählens, mithin ein Ort der Wahrheit sein. Und um Kalauern gleich vorzubeugen: „Wahrheit“ meint jetzt mehr als nur die „nackten Tatsachen“ faltiger Hintern über dünnen Beinchen oder imposanter Bäuche überm schrumpeligen Skrotum. Denn was die Männer in WAS MÄNNER SONST NICHT ZEIGEN eben zeigen, geht darüber hinaus. Was nicht heißt, daß wiederum diese nackten Körper und wie sich an ihnen die Zeit, das Alter, das Leben abarbeiteten unwichtig wären. Im Gegenteil: Der Körper ist hier auch im Status einer Zeugenschaft. Ist Beleg jener gelebten Leben, von denen gesprochen wird.

Denn in der Sauna, da öffnen sich nicht nur die Hautporen. Im heißem Zischen und Dampfen lösen sich auch die Zungen – und manch’ seelische Verkrampfungen, an denen ja Männer im allgemeinen und finnische Männer im besonderen gern leiden. Und plötzlich reden sie, die sonst so verschlossenen, maulfaulen Kerle, als wäre die Sauna ein Schutzraum, in dem man eben auch sein Innerstes entblößen kann. Verletzungen, Ängste und Traumata, kurz: Lebensgeschichten sind da zu hören, für die es tatsächlich reicht, den jeweils Erzählenden einfach nur zuzuhören. Und zuzuschauen natürlich auch.

Eine Frau ist da nur am Anfang mal zu sehen, wenn Gattin und Gatte in ihrer Sauna sitzen: „Deinen Rücken ... “ sagt er da, in aller Ruhe mit einem Schwamm hantierend: „ ... wasch’ ich jetzt seit fast 51 Jahren. Ich mag ihn.“ Wunderbar. So einfach kann Glück sein. Es ist das dramaturgisch kluge Vorspiel in Dur für die folgenden Strophen, die dann freilich großteilig in Moll erklingen. Gebrochene Herzen, verlorene Illusionen, böse Erinnerungen – all das schwitzt man hier gleichsam aus. Allerdings in jenem Moll, das (fast) nie weinerlich wird und ob dem im Saunanebeldampf und inklusive einer dort über den gesamten Film hinweg beachtlichen Legion konsumierter Bierflaschen auch ziemlich trockener Humor seinen Platz hat.

In der Mischung aus Dokumentation und Tragikomödie ist WAS MÄNNER SONST NICHT ZEIGEN dabei autonom genug, um für sich tatsächlich die Kreation eines neuen Genres zu beanspruchen: Hübsch verdreht als „erster Saunafilm, den es je geben wird“ beworben, liefert dieser zugleich, quasi als Aufguß, einen kleinen Essay über ein kulturelles Phänomen inklusive einiger amüsanter Seitenblicke auf dessen skurrile Auswüchse.

Originaltitel: MIESTEN VUORO

Finnland/S 2010-2016, 84 min
FSK 6
Verleih: Temperclay

Genre: Saunafilm, Dokumentation, Tragikomödie

Regie: Mika Hotakainen, Joonas Berghall

Kinostart: 10.11.16

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.