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We Are The Flesh

Bluten und Blasen

Früher war’s einfach – keuchte es zu Beginn eines Films aus dem Off, war demnächst entweder Erotisches oder Horribles zu erwarten. Im letzteren Fall hieß das meist simpel unterhaltsam: Kleidung verzichtbar findende Mädels, brünstige Kerle, Psychokiller, Rübe ab. Heute quält hingegen Arthouse-Horror wie WE ARE THE FLESH, der gleichzeitig Porno ist und sich in labyrinthischen Metaebenen verirrt.

Das einleitende Röcheln stößt ein zerrupfter Einsiedler aus, dessen Verrichten allerlei schräger Tätigkeiten wir beobachten, mündend im Trommelrausch. Zwei junge Leute kommen angelockt vorbei und bitten um Bleibe, offenbar darbt die Welt postapokalyptisch dahin. Besagter Eremit bietet rohes Rührei an, preist Gedankenfreiheit als Vorteil der Einsamkeit und verleitet das (wie wir nun wissen) Geschwisterpaar dazu, miteinander Sex zu haben. Jenen beobachtet der Madman aufmerksam, befriedigt sich selbst, kommt und geht – beim Orgasmus fällt er tot darnieder. Man nimmt’s zuschauerseitig eher amüsiert zur Kenntnis und wartet ab, was passiert.

So einiges und trotzdem nicht viel. Sicher, wir hatten bis dato durch Wärmekamerabilder verfremdeten, inzestuösen Sex, es folgen unter anderem heftig graphisch ausgeübter Mord, Natursekt, Kannibalismus, gen Perversion gedrehte Regelblutung, primäre Geschlechtsteile in Nahaufnahmen, Höllenorgien, Nekrophilie, Resurrektion, klirrend kalter Nihilismus. Jede verstreichende Sekunde bemüht sich, ihre vorangegangene Schwester zu übertrumpfen, irgendwo harrt bestimmt ein weiterer Tabubruch auf seine Brechung. Nur: Es interessiert kaum.

Zwar besitzt Langfilm-Regie-und-Drehbuch-Debütant Emiliano Rocha Minter durchaus geübte Blickschärfe für optische Qualität – tatsächlich gelingt ihm das visuelle Zaubern einer gleichermaßen märchenhaften, traumhaft schönen und versifften Atmosphäre. Wollen wir wissen, was konkret in der Pfanne brutzelt? Danke, nein. Doch während Minter liebevoll diese Leinwandgemälde zusammentupft, geht ihm der Hintergrund flöten. Inhaltlich passiert, abgesehen von ständigem Lärm, einfach nix, selbst recht schmale 79 Minuten geraten zur Geduldsprobe, es birgt weder Spaß noch Sinn, permanente Andeutungen zu entschlüsseln, die dargebotene gigantische Interpretationsfreifläche zur eigenen Spielwiese umzufunktionieren. Der nominelle Kinoskandal endet letztlich bloß als genervte Randnotiz.

Originaltitel: TENEMOS LA CARNE

Mexiko/F 2016, 79 min
FSK 18
Verleih: Drop-Out Cinema

Genre: Horror, Erotik, Experimentalfilm

Darsteller: Noé Hernández, María Evoli, Diego Gamaliel, María Cid

Stab:
Regie: Emiliano Rocha Minter
Drehbuch: Emiliano Rocha Minter

Kinostart: 06.10.16

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...