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Wege durchs Labyrinth

… zum polnischen Nationalheiligtum

Mit Dokumentationen über Berühmtheiten ist das so eine Sache. Die rechte Balance aus Nähe und Distanz zum Objekt ihrer Betrachtung gelingt nur den wenigsten Filmemachern. Nicht selten endet die Suche nach der Person hinter der Persönlichkeit in einer ehrfürchtigen Hommage. Oder in der bloßen Montage des eingesammelten Filmmaterials. In ihrem Porträt des polnischen Komponisten Krzysztof Penderecki begegnet die Regisseurin Anna Schmidt dem Problem mit eindeutigem Willen zur Gestaltung, findet aber nur ansatzweise einen Weg durchs Geflecht zum Menschen Penderecki.

Ein Jahr lang begleitet der Film den rührigen Komponisten auf Reisen, bei Proben und Aufführungen seiner Werke, beim Komponieren. Weggefährten wie der Regisseur Andrzej Wajda, die Interpreten Anne-Sophie Mutter oder Julian Rachlin kommen zu Wort und sein enormes musikalisches Oeuvre zu Gehör. Immer wieder kehrt der Film auf Pendereckis bourgeoisen Landsitz in Luslawice zurück. Dort hat sich der passionierte Botaniker ein gewaltiges Gartenreich errichtet, das ihm zur Inspirationsquelle geworden ist und der Dokumentation als dramaturgischer Bogen dient. Wer allerdings jenseits episch gefilmter Natur und vollem Reisekalender das Wesen Pendereckis entdecken will, muß genau hinschauen. Nur in ausgewählten Momenten blitzt der akribische Arbeiter und notorische Perfektionist durch. Besonders deutlich wird das in schwarzweißen Archivaufnahmen: Darin sieht man einen jungen Wilden, einen selbstbewußten Querdenker, der sich mit jeder Faser seines kompositorischen Schaffens gegen die Enge des sozialistischen Regimes stemmt. Ein krasser Gegensatz zum Kosmopoliten der Gegenwart, der schon längst zum polnischen Nationalheiligtum geworden ist. Wie kaum ein anderer lebender Komponist wird Penderecki heute von Kollegen und Fans geschätzt, das zeigt der Film eindrucksvoll. Die Eröffnung einer eigenen Konzerthalle in unmittelbarer Nähe zu Wohnhaus und Garten – das ist eine Ehre, die er nur mit Richard Wagner teilen muß.

Gegen Ende der Dokumentation sieht man Penderecki mit Notenpapier im erhöhten Pavillon seines Gartens Platz nehmen. Dort sitzt er wie auf einem Thron, überschaut sein selbstgestaltetes Reich und komponiert. In diesem Augenblick glaubt man, den Geist dieses Mannes zu erspüren. Ein starkes, ein stilles Bild, von derart man sich mehr gewünscht hätte in Anna Schmidts Porträt.

D/Polen 2013, 86 min
Verleih: Neufilm

Genre: Dokumentation, Biographie

Regie: Anna Schmidt

[ Philipp J. Neumann ] Philipp fühlt sich inspiriert von CLUB DER TOTEN DICHTER, hat gelernt aus DAS SIEBENTE SIEGEL, ist gerührt von MAGNOLIA, hat sich wiedergefunden in THE SWEET HEREAFTER, wurde beinahe irr durch FARGO, ist für immer vernarrt in PONETTE und war schlicht plattgedrückt von DER HERR DER RINGE.