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Woody Allen: A Documentary

Das Unbehagen an der Komödie

Einen Dokumentarfilm zu sehen, in dem Wegbegleiter Woody Allens – darunter Diane Keaton, Martin Scorsese, Scarlett Johansson – über dessen Werdegang und über das ungewöhnliche Phänomen Woody Allen berichten, ist auf den ersten Blick seltsam irritierend. Man glaubt, in einem von Allens eigenen Filmen zu sitzen, einem von jenen, die mit fingierten Interviews arbeiten, wie ZELIG. Auch dort wechseln die (inszenierten) Zeitzeugenberichte über das „menschliche Chamäleon“ Leonard Zelig mit (inszeniertem) Dokumentarfilmmaterial.

Nun, diemal ist es echt. Erstmals (angeblich und auch nur, wenn man WILD MAN BLUES nicht mitzählt) stellt sich der scheue New Yorker, der seit über vier Jahrzehnten jährlich einen Film aus dem Ärmel schüttelt, auch selbst für einen Dokumentarfilm zur Verfügung, führt uns durch das Brooklyn seiner Kindheit, öffnet seine Schubläden voller Notizzettel und tippt Probe auf der mechanischen Schreibmaschine, auf der bis heute alle seine Drehbücher entstehen. Auch über sein Brillenmodell, das ebenfalls nie ausgewechselt wurde, äußert er sich lobend.

Aber erfahren wir dadurch wirklich alles, was wir schon immer mal über Woody wissen wollten? Denn auch hier bleibt er sich doch eigentlich stets der Gleiche: der gleiche Workaholic, der gleiche Zweifler, der gleiche Suchende. In der Quantität suche er nach einem zufälligen Quantum Qualität, sagt er sinngemäß selbst. Und auch dieses Understatement ist der gute alte Woody Allen. Immerhin: Lobenswerterweise betont der Film, daß der Künstler Woody Allen, der doch Everybody’s Darling ist, nicht immer will wie sein Publikum. In STARDUST MEMORIES etwa klagte er sein Leid, immer komisch sein zu müssen. Allens Unbehagen, eigentlich eine Annährung an das europäische Kino, wurde als Undankbarkeit mißverstanden. Schade, daß es an dieser Stelle nicht tiefer geht.

Apropos Europa. Jean-Luc Godard hat es mal versucht, sich Allen anders zu nähern, in seinem Halbstünder MEETIN’ WA (auf YouTube zu sehen). 1986, nach Erscheinen von HANNAH UND IHRE SCHWESTERN, traf er Allen zu einem langen Interview in New York. Und der sitzt ihm bereitwillig und verschüchtert gegenüber auf der Couch. Ein Film, in dem die Geste und der Vergleich wichtiger sind als die Lobhudeleien. Spaß macht die neue Dokumentation vor allem deshalb, weil viele Filmausschnitte darin eingewoben sind. Und die machen Lust, sich eine Woche lang zu Hause einzuschließen und Woody-Allen-Filme zu schauen.

Originaltitel: WOODY ALLEN: A DOCUMENTARY

USA 2011, 113 min
FSK 0
Verleih: NFP

Genre: Dokumentation, Biographie

Regie: Robert B. Weide

Kinostart: 05.07.12

[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...