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Zwei ungleiche Schwestern

Wunderbare Tragikomödie mit Tiefgang

Alles nervt. Ihr Mann atmet zum Frühstück zu laut, er atmet eh zu viel, das Kind herzt die Mutter unverhältnismäßig leidenschaftlich, so daß Martine bereits der Rücken schmerzt, und schließlich kündigt sich auch noch Louise, ihre Schwester aus dem Ländlichen, an. Nach Paris kommt der Trampel, um ein Buch an einen Verlag zu bringen. So steht sie dann auch auf dem Bahnhof, freudestrahlend, mit fremdepochalem Hut auf dem Kopf und roten Bäckchen wie ein in der südfranzösischen Sonne gereifter Apfel.

Auch ein Geschenk hat sie für ihre so weltliche Schwester mitgebracht. Eine Vase, noch nicht ganz frühzeitlich, aber trotzdem lange aus der Mode. Martine ist das alles peinlich, zu viel, zu laut, zu lebendig. In der Oper summt Louise leise mit und laufen ihr vor Rührung die Tränen übers Gesicht, während Martine entnervt und emphatisch auf die Uhr schaut. In der Galerie von Martines Freundin freut sich das Kind vom Lande lautstark über verstandene Kunst ... Louise macht alles falsch, zu ungeschickt, zu naiv, zu poltrig, bis Martine der Kragen platzt. Und jetzt zeigt sich das wahre Problem: Martine, die Gutbürgerliche, ist bis zum Haaransatz verspannt, völlig frustriert, vom Leben enttäuscht und bisweilen angewidert.

Wurde so weit eine fabelhaft pointierte, von Darstellern perfekt im genreerforderlichen Wechsel von Zuviel/Zuwenig austarierte und mit rasierklingenscharfen Dialogen aufwartende Komödie erzählt, kommen nun ernstere Töne hinzu. Was bei Regiedebütantin Alexandra Leclère aber nicht zum Ungleichgewicht führt, denn sie weiß, daß das Komische das Tragische braucht. So zeigen sich Wunden aus der Schwestern Kindheit, gerät die alkoholkranke Mutter ins Zentrum, entpuppen sich Martines Freundinnen als verlogene Flittchen. Hier darf Isabelle Huppert, unbestritten die imposanteste Aktrice der Grande Nation, sogar ein wenig ins Hysterische abgleiten, Haare ziehen inklusive.

Leclère ist bei aller wunderbaren Komik, die natürlich oft erprobt in der filmischen Begegnung von gänzlich verschiedenen Pärchen ist und dadurch sogar auch immer wieder an Matthau/Lemmon erinnert, eine berührende Geschichte mit Tiefgang gelungen. Kaum zu glauben, daß es sich hierbei um ihren Erstling handelt. Chapeau!

Originaltitel: LES SOEURS FÂCHÉES

F 2004, 93 min
Verleih: Arsenal

Genre: Tragikomödie

Darsteller: Isabelle Huppert, Catherine Frot, François Berléand

Regie: Alexandra Leclère

Kinostart: 25.08.05

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.