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Zwischen Himmel und Erde

Von Gutem durch und durch durchdrungen

Wer sich, wie ich, aufgrund des Kindergartenplatzmangels, überlegt hatte, mal kurz beim Waldorfkindergarten anzufragen, der wird nach Christian Labharts Film eingesehen haben: Kurz ist nicht – einmal Waldorfkind immer Waldorfkind. Im Guten wie im Schlechten, möchte man hinzufügen. Aber das kommt ganz auf die Lesart an, mit der man die Anthroposophie betrachten will. Labharts Dokument versucht keine grundlegende Kritik, sondern zeichnet persönliche Zugänge von sehr unterschiedlichen Menschen nach und gibt damit Anreiz, sich mit den Grundgedanken Rudolf Steiners, dem geistigen Vater der Anthroposophie, zu befassen.

Wenn man so will, ist Steiners vor hundert Jahren entwickelter philosophisch-esoterischer Denkansatz in unserem immer stärker auf Selbstfindungsdrang ausgerichteten Gesellschaftsmodell vollständig aufgegangen. Zumindest bei denen, die sich das finanziell leisten können. Man cremt und wäscht mit Weleda (anthroposophische Medizin), bevorzugt integrative Kindergärten mit Morgenkreisen, kauft Produkte aus biodynamischer Landwirtschaft und ist darauf bedacht, in seine seelische Gesundheit zu investieren. Das paßt ganz gut zu Steiners propagiertem „freien Menschen“, der „nur er selber sein will, der reine und absolute Egoist.“ Auf der anderen Seite will dieser seine gefundene Ganzheitlichkeit auch mit Seinesgleichen teilen.

Sebastian Gronbach, Journalist und Autor, der sich selbst als „seine eigene Mission in der Welt“ sieht, gibt in Lambharts Dokument den Modernisten unter den Anthroposophen, der seinen unverkrampften Umgang mit der Sexualität in Swingerclubs auslebt und neben Erleuchtungsritualen auch Boxen betreibt. Hingegen stellt Susanne Wende als Waldorflehrerin eher den althergebrachten Typus der von Gutmenschlichkeit und Verständnis „Durchdrungenen“ dar. Und dann gibt es auch den kritischen Kontrapunkt, den Sänger Christoph Homberger, dem „der ganze Konservatismus“ und „dieses Bewahren des Abendländischen“ gewaltig aufstößt.

So vielschichtig die gezeigten Ansätze sind, so schwierig ist es auch, die Haltung des Filmemachers Lambhart auszumachen. Will er den Pathos seiner Protagonisten konterkarieren, wenn er bildsprachlich eine Möwen-am-Strand-Sonnenuntergangsästhetik wählt, oder meint er es gar ernst? Seine persönliche anthroposophische Leseart verbleibt jedenfalls im Spekulativen.

CH 2009, 85 min
Verleih: mindjazz

Genre: Experimentalfilm, Dokumentation, Drama

Regie: Christian Labhart

Kinostart: 22.04.10

[ Susanne Schulz ]