Originaltitel: AFTER THE HUNT
USA 2025, 139 min
Verleih: Amazon/Sony
Genre: Thriller
Darsteller: Julia Roberts, Ayo Edebiri, Andrew Garfield
Regie: Luca Guadagnino
Kinostart: 16.10.25
Das laute Ticken bleibt ein ambivalentes Geräusch in diesem Film. Gleich zu Beginn gibt es den Puls der Szenen vor. Es begleitet einen geordneten Alltag, der wie ein sinnbildliches Uhrwerk vor sich hinläuft. Zugleich scheint dort die Zeit im übertragenen Sinne abzulaufen. Man wartet nur darauf, daß das Gefüge auf der Leinwand explodiert. Luca Guadagnino inszeniert in seinem neuen Film eine Yale-Professorin, die auf den Kontrollverlust zusteuert und sich um ihre Fassade sorgen muß. Und das beschert Julia Roberts in der Hauptrolle einen großen, facettenreich gespielten Auftritt. Es ist vielleicht eine der spannendsten, weil uneindeutigsten Charakterrollen, die der Hollywood-Star je verkörpert hat. Ihre Figur gerät in eine mißliche Lage. Eine ihrer Studentinnen erhebt Mißbrauchsvorwürfe gegen einen Kollegen, mit dem sie selbst eine romantische Affäre zu hegen scheint.
Für Guadagnino ist AFTER THE HUNT damit ein etwas ungewöhnliches Werk, vergleicht man es mit seinen jüngeren Filmen QUEER und CHALLENGERS. Es geht auch hier gewissermaßen um das Begehren in all seinen Ambivalenzen und Abgründen, die der Regisseur wiederholt erforscht hat. Aber dieses Mal besitzt das etwas Sprödes, weniger Sinnliches, auch wenn in einigen Konfrontationen die Kamera so nah dran ist, daß regelrecht die Bilder vom Atem der Figuren beschlagen. Die meiste Zeit präsentiert sich das als ruhiges, kühles, mitunter auch zähes, in blassen Farben bebildertes Diskurskino, auch im philosophischen Sinne. Foucault und die Frankfurter Schule werden im Dialog bemüht. Erotik, Identität, Rolle und Vorstellungen von Emanzipation werden in ihren Machtdynamiken freigelegt, vorgeführt in einem Milieu, das viele kluge Worte besitzt, aber mit den innersten Dämonen doch nicht fertig wird Roberts‘ Figur wird von Schmerzen geplagt. Da bahnt sich etwas Verdrängtes aus ihrem Körper.
Vielleicht wird hier die eine oder andere strukturelle Frage, wie man im Kontext der #MeToo- und Cancel-Diskurse miteinander umgehen kann und will, etwas ungelenk mit dem persönlichen Charakterdrama relativiert. Vielleicht windet sich das etwas zu bedächtig um jede Position, die vorgetragen und angehört werden soll. Für das Publikum wird der Film dennoch zur brisanten Haltungsfrage, spätestens dann, wenn die Protagonistin jeden Anstand fahrenläßt.
[ Janick Nolting ]