Originaltitel: L’ÉTRANGER

F 2025, 122 min
Verleih: Weltkino

Genre: Drama, Thriller, Literaturverfilmung

Darsteller: Benjamin Voisin, Rebecca Marder, Denis Lavant, Pierre Lottin

Regie: François Ozon

Kinostart: 01.01.26

Der Fremde

Tote Gefühle

Wie wenig muß man spielen, bis Gesichtszüge derart leblos und kühl erscheinen? Oder sollte man lieber umgekehrt fragen: Wie viel muß jemand spielen, um sich als Darsteller eine derart überzeugende, verführerische Maske der Gleichgültigkeit aufzusetzen? Benjamin Voisin verkörpert hier die Hauptfigur eines echten Klassikers. 1942 erschien „Der Fremde“ von Albert Camus und damit eine der zentralen Schriften der Existenzialisten. Nun holt der französische Filmemacher François Ozon diesen kanonischen Stoff noch einmal aus der Schublade und legt eine weitgehend werkgetreue Neuverfilmung hin. Eigene Nuancen findet man in der Thematisierung der kolonialgeschichtlichen Hintergründe oder der kritisierten Obsession mit dem Täter. Ansonsten bleibt dies vor allem eine souveräne Romanbebilderung.

Zur Erinnerung: „Der Fremde“ erzählt, wie der junge Arthur Meursault sein Leben verwirkt, als er in Algerien einen Araber erschießt. Voisin spielt den Protagonisten mit der passenden Abgebrühtheit, die es braucht, um sie auch heute noch zur provokanten Reizfigur und Projektionsfläche zu machen. Auch wenn die Haltung dieses Mannes spät im Film einmal bröckelt: Meursault bleibt beeindruckend unnahbar, zumutend. Seine Emotionslosigkeit, mit der er auf die Nichtigkeit des Daseins blickt, Gewalt in seinem Umfeld bezeugt oder sich üblichem Trauergebaren nach dem Tod der Mutter verweigert, kann immer weniger zwischen Widerstand und reinem Symptom einer gefühlskalten Zeit unterscheiden. Was ist also im Leben und bei all den verlogenen sozialen Ansprüchen überhaupt noch von Bedeutung?

Ozons Verfilmung bleibt durchweg in der historischen Realität der 30er-Jahre verortet. Ihre Auseinandersetzung mit menschlicher Abstumpfung, gesellschaftlichen Normen und Affektkulturen spricht aus der Vergangenheit zum Publikum, erlangt dadurch aber auch eine anregende stoffliche Distanz und Zeitlosigkeit, die es mit der Gegenwart abzugleichen gilt. Ozon und sein Kameramann Manu Dacosse inszenieren das in schier umwerfenden Schwarz-Weiß-Bildern, für die allein sich das Sehen schon lohnt. Die harten Kontraste ihrer Ästhetik passen perfekt zu dem unterkühlten Weltbild, das hier verhandelt wird. Wie sonst soll der menschliche Lebenssaft, der nach einem Rasurschnitt ins Waschbecken tropft, zum symbolträchtig dunklen Fleck werden?

[ Janick Nolting ]