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Finding Vivian Maier

Das geheime Leben einer wahren Künstlerin

So eine Entdeckung möchte man einmal machen, wie sie John Maloof in die Hände fiel. Der junge Historiker und Fotograf ersteigerte eine Kiste aus irgendeinem Nachlaß, allerdings nicht mit irgendeinem Inhalt: Diese Kiste war tatsächlich voller Negative, die ins Positiv gewendet ein großes künstlerisches Talent erkennen ließen. Intensive Alltags-Momente aus dem New York und dem Chicago der 50er und 60er Jahre, genau im richtigen Augenblick, aus dem richtigen Winkel (leichte Untersicht) und mit einem hohen Maß von Empathie eingefangen. Die Street Photographie von Vivian Maier steht der von Diane Arbus in keiner Weise nach. Doch im Gegensatz zu Arbus kannte zu diesem Zeitpunkt kein Mensch Vivian Maier.

Maloof gelang es nicht nur, Maiers Werk berühmt zu machen, in seinem Dokumentarfilm setzt er nun auch die Puzzleteile ihres Lebens zusammen. Daß er sich als Entdecker und Mentor dabei selbst in Szene setzt, läßt ihn etwas eitel erscheinen, aber die Faszination für den Gegenstand macht nicht nur diesen Umstand, sondern auch die über den Film gegossene musikalische Soße erträglich. Denn Maiers Leben erscheint Stück für Stück wie aus dem Nichts. Auch im Privaten kannten sie nur wenige Menschen, für die sie stets ein Rätsel blieb, ein wandelndes Geheimnis. Sie arbeitete als Nanny in wohlhabenden Familien – die Kinder nahm sie mit auf ihre Touren durch die Slums.

Und auch sonst verhielt sie sich durchaus ambivalent. Offenbar war sie eine Getriebene: ohne eigene Familie, ohne Zuhause, mit einem tiefen Mißtrauen gegen Männer – wie tausende von Zeitungsartikel verraten, die sie sammelte. Sie war ein Messie, ihre äußere Erscheinung wie aus der Zeit gefallen. Sie stellte sich fremden Menschen als Spionin vor und pflegte einen falschen französischen Akzent. Nichts wollte sie offenbar von sich preisgeben, doch Maloof hat doppeltes Glück, denn Maier machte viele Selbstporträts und sprach Gedanken aufs Band. Das Bild von Maier wird immer bunter und vielfältiger, ohne sich ganz zu vollenden. Es bleibt dem Zuschauer ein Restgeheimnis.

In seiner Enthüllungsdramaturgie erinnert der Film durchaus an den OSCAR-gekürten SEARCHING FOR SUGAR MAN über den Sänger Rodriguez, auch so ein großer Unsichtbarer. Das Rätselhafteste und Faszinierendste bei Maier ist jedoch der Umstand, daß sie niemandem ihre Fotos zeigte. In Zeiten, in denen Menschen alles von sich bedenkenlos in die Öffentlichkeit tragen, erscheint das bemerkenswert. Maier lebte für die Kunst, doch wollte sie sie nicht teilen. Nun ist sie posthum doch berühmt.

Originaltitel: FINDING VIVIAN MAIER

USA 2014, 84 min
FSK 0
Verleih: NFP

Genre: Dokumentation, Biographie

Regie: John Maloof, Charlie Siskel

Kinostart: 26.06.14

[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...