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Knallhart

Kompromißloses Kino über Opfer und Alphatiere

Detlev Buck, bisher hauptverantwortlich fürs Komische, dabei meist ein Spezialist des eher um die Ecke schielenden Humors, hat sich was gewagt. Weg vom Routine-Parkett des Witzlemachens, raus aus dem häufig und doch recht zuverlässig geglückten Spagat zwischen mitfühlendem Schmunzeln und kauzig-lästernder Gemeinheit, ist er beim Drama, einem - wie es der Titel unmißverständlich sagt - unnachsichtig harten Drama in den stabilen Stand gekommen. So viel vorab: das Wagnis hat sich gelohnt, Buck hat seine größte Gabe beim Geschichtenerzählen auch hier überzeugend eingebracht: das genaue, mikroskopische Beobachten sozialer Biotope.

Der 15jährige Michael ist Opfer: zuerst das seiner Luxus-geilen Mutter, die sich für den Komfort auch schon mal an aalglatte Widerlinge hält, wie hier an einen gewissen Herrn Peters. Bis sie rausfliegen, Mutter und Sohn mit der schicken Zehlendorfer Villa plötzlich im Rücken. Von der weißen Ledercouch geht’s direkt aufs grau-braune Neuköllner Pflaster, denn Michael bleibt Opfer. Wie es ihm der junge, brutale Türke Errol auch in fieser Regelmäßigkeit an den meist schon blutig geprügelten Kopf knallt: "Ey, verpiß Disch, isch will mehr Kohle, Du Opfa!" Micha wird regelmäßig abgefaßt, beklaut, die Turnschuhe werden ihm abgenommen. Bis er den Kiezkönig Hamal kennenlernt ...

Buck erzählt in grobkörnigen, mit einem fiebrigen Soundtrack unterlegten Bildern von der schleichenden Anpassung an die äußeren Bedingungen, die sich vor allem aus Gewalt und Gegengewalt definieren. Ohne Schulmeisterei, das heißt auch ohne Lösungsvorschlag, zeigt er ganz authentisch auf, wie - vielleicht - hoffnungslos der Clash von Jugendkulturen beispielsweise in Neukölln ist. Der tolerante Betrachter muß sich bei der schonungslos gezeigten Brutalität schon beinahe zwingen, für die kriminelle "Karriere" eines Errol, für seinen Weg vom in Deutschland geborenen Türkenjungen zum ultrabrutalen Schlägertypen, Verständnis aufzubringen. Exemplarisch wird an ihm gezeigt, daß alle Instanzen - politisch, sozial, familiär und die einer naturgemäßen Nächstenliebe - komplett versagen. Doch Buck sieht mit beiden Augen scharf: So ist das Bild der verratenen Unschuld, vom Ende der Kindheit, dann auch beinahe zu schwach, um das einzuordnen, wozu Michael am Ende fähig sein wird. An sich will der Junge nur Ruhe. Stille im Kopf, wie er es einem seiner Kumpels mal sagt. Nur Ruhe, ohne daß dauernd jemand redet.

Michaels Mutter wird von Jenny Elvers-Elbertzhagen gespielt, der man nach einer kurzen Warmlauf-Phase doch einiges Talent bescheinigen möchte. Das Zentrum von Bucks aufwühlendem, realistischem Milieudrama ist aber David Kross als Michael. Das Gesicht beinahe das eines Mädchens, ein blasses Gesicht, mit dem er scheinbar alles ausdrücken kann: Angst, Traurigkeit, Hoffnung, Entschlossenheit und vor allem Wut. Daher hat es gar nichts Heroisches, wenn er erstmalig dem blutrünstigen Alphatier Errol so richtig eins in die Fresse haut. Da befreit sich Michael, seine Courage nährt sich jedoch aus verzweifelter Pein und sich aufbäumendem Zorn. Seine Seele retten kann diese erschrockene Wehr leider nicht mehr.

D 2005, 98 min
Verleih: Delphi

Genre: Drama, Erwachsenwerden

Darsteller: David Kross, Jenny Elvers-Elbertzhagen, Erhan Emre, Kai Michael Müller, Jan Henrik Stahlberg

Regie: Detlev Buck

Kinostart: 09.03.06

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.