Originaltitel: LADY MACBETH

GB 2016, 89 min
FSK 12
Verleih: Koch Films

Genre: Drama, Historie, Thriller

Darsteller: Florence Pugh, Cosmo Jarvis, Naomi Ackie

Regie: William Oldroyd

Kinostart: 02.11.17

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Lady Macbeth

Verstörung diesseits der Stille

Was kann wohl maximal ehrend über einen Kostümfilm geschrieben werden? Klar – daß er keiner ist. Auftritt der LADY MACBETH: Prächtige Kleiderordnung nimmt man bald nicht mehr wahr, gefällige klassische Kompositionen fehlen ohnehin, die Geschichte hat universelle Qualität, wirkt aus allen Zeiten dem Zuschauer direkt tonnenschwer und atemraubend auf die Brust gefallen. Regisseur William Oldroyd konstatiert: „In literarischen Texten dieser Zeit leiden die Frauen in der Regel entweder stillschweigend, sie verschwinden oder begehen Selbstmord.“ Er fährt mit „aber“ fort, und dessen brachiale Bedeutung zeigt jenes – unglaublich! – Spielfilmdebüt voll gnadenloser Konsequenz.

Sie solle ihre Kleider ausziehen, befiehlt Katherines viel älterer Gatte. Die frischgebackene Gemahlin gehorcht, steht nackt vor ihm, worauf er sich umdreht und schlafen legt – eine Demütigung auf mehreren Ebenen, dem kaum unberührten Zuschauer dargeboten mit nahe rückender Kamera, deren Unruhe bezeichnend scheint für den Geisteszustand dieser jungen Dame. Nicht „instabil“ meinend, sondern „getrieben“, es arbeitet hinter der hübschen Stirn, Gedanken rumoren, Pläne entstehen. Katherine möchte raus, weg vom ständig alkoholisierten Mann, dem sie im England des Jahres 1856 quasi trophäenartig übereignet wurde, sowie seiner gleichsam widerwärtigen Sippe. Ein erhabenes Haus inklusive Herrinnen-Status? Angenehm ja, befriedigend nein.

Lust und Leben begehrt das wilde Herz, fliegt dem rebellischen Gutsarbeiter Sebastian zu, ignoriert Standesgräben, Verbote, sonstige Hürden. Eine riskante Liebschaft entbrennt, wird entdeckt. Und weckt weit Gefährlicheres, nämlich den eisernen Willen einer Erwachten, die nie wieder Unterdrückung spüren mag ...

Schwer zu sagen, wann zuletzt ein Film die Leinwand so zum eisigen Klirren brachte: wenn Katherines Gemahl auf sie – Gesicht zur Wand, ergo objektiviert – masturbiert. Die Bediensteten an frauenfeindlichen Attacken Freude finden. Und Katherines verborgener Charakter zum Vorschein kommt, urgewaltig, monströs. Die häufig beschworene äußere Kälte dringt nach innen, kriecht durch die Gänge und übers Bett, welches parallel einen Tummelplatz und den Ort stoischer, stummer Auflehnung stellt, hinein ins zersplitterte weibliche Herz, umgeben von einer dunklen Welt, farbentleert gezeichnet, dazu oft derart still, daß akustische Abgründe gähnen. Dann erklingt keine Musik, tönt kein Dialog, betrachtet man mal schreckliche, mal schöne, teils gar schrecklich schöne Bilder, hört zu, wie das eigene Blut in den Ohren rauscht, folgt fasziniert einem Selbstbestimmungswunsch, der grausam vital eine fehlgeleitete Richtung einschlägt. Jemand stirbt, Katherine kommentiert: „He Was Weak.“  Auch Oldroyd treibt ein bitterböses Spiel, weckt profundes Verständnis und mitfühlende Sympathie, um danach beides sukzessive zu schreddern, allerdings nicht, ohne Reste zu belassen. Unmöglich, sich an moralische Poller in Form gängiger Schwarzweißmalerei zu klammern, Oldroyd unterbindet jeglichen Versuch, klopft heftig auf bereits taube Finger.

Katherines unablässig schwindende Humanität, schließlich bis zur Unkenntlichkeit entstellt, schlägt derweil zunächst im enthemmten Totentanz tiefe Schneisen und opfert letztlich, als sie ihre Meisterin zu treffen droht, radikal alles und jeden zur Rettung der gerade erst entpuppten Haut. Da muß zwangsläufig erneute, nun endgültige Stille bleiben.

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...