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Last Resort

Kein Ausweg ohne das Selbst

Die Russin Tanja und ihr zehnjähriger Sohn Artiom sind in einer Zwischenwelt gestrandet. Stonehaven, England, gelegen am offenen Meer, ist eine Stadt, aus der man nicht wegkommt. Und die Situation dort ist eine zwischen zwei Leben. Zwischen dem, was man hinter sich lassen will und dem, was noch nicht begonnen hat, nur ungewisse, erträumte Zukunft ist.

Die junge Frau hat Moskau den Rücken gekehrt, aber es war nicht der britische Verlobte, der am Flughafen wartete. Es war die Einwanderungsbehörde, die ihrer Geschichte keinen Glauben schenkt. Als Alternative zum sofortigen Rückflug beantragt Tanja politisches Asyl. Was sie nicht weiß: Die Verfahren dauern Monate und ihr wird verboten, den säumigen Verlobten zu suchen. Sie landet mit Artiom in einem Auffanglager an der Küste, wo sie zum Warten und Nichts-tun verdammt ist. In Stonehaven.

Pawel Pawlikowski hat mit LAST RESORT einen sehr persönlichen Film gemacht. Die polnische Herkunft des Regisseurs und die Tatsache, daß der Film eine britische Produktion ist, sollten dennoch nicht auf die falsche Spur führen. Für Pawlikowski ist der Flüchtlingsalltag in der bürokratischen Warteschleife nur Rahmen einer Erzählung, deren Thema individuell ist und zugleich allgemein berührt: Wo enden die Träume, das unbewußte Verlangen, und wo beginnt ein vom Selbst bestimmtes Leben? Pawlikowski stellt seiner Figur Tanja, der intuitiv handelnden Mutter, einen zuweilen sehr erwachsen wirkenden Sohn zur Seite. Artioms Blick aber ist kindlich unverstellt, seine Fähigkeiten zur Anpassung sind größer. Er ist es, der sich zuerst einläßt auf einen neuen väterlichen Freund. Und dieser, der in Tanja verliebte Ex-Boxer Alfie, wird auch das Herz der Mutter gewinnen. Doch ist dies gleichbedeutend mit einer gemeinsamen Zukunft?

Wacklige Handkamera im Wechsel mit statischen Aufnahmen im Weitwinkel, eine geradlinige Dramaturgie, eine quasi dokumentarische Form. Pawlikowskis Film, subtil und dabei genau in der Beobachtung, ist weniger Liebes- denn Flüchtlingsdrama. Letzteres aber in besonderem Sinn. Vordergründig weder politisch noch sozial ambitioniert, stellt es die Flucht vor dem Selbst als eine trügerische Suche in den Mittelpunkt. Und am Ende deutet sich an, daß man manchmal zurück muß, will man vorankommen.

Originaltitel: LAST RESORT

GB 2000, 73 min
Verleih: Peripher

Genre: Drama

Darsteller: Dina Korzum, Artiom Strelnikov, Paddy Considine

Regie: Pawel Pawlikowski

Kinostart: 18.01.07

[ Jane Wegewitz ] Für Jane ist das Kino ein Ort der Ideen, ein Haus der Filmkunst, die in „Licht-Schrift“ von solchen schreibt. Früh lehrten sie dies Arbeiten von Georges Méliès, Friedrich W. Murnau, Marcel Duchamp und Man Ray, Henri-Georges Clouzot, Jean-Luc Godard, Sidney Lumet, Andrei A. Tarkowski, Ingmar Bergman, Sergio Leone, Rainer W. Fassbinder, Margarethe v. Trotta, Aki Kaurismäki und Helke Misselwitz. Letzte nachhaltige Kinoerlebnisse verdankt Jane Gus Van Sant, Jim Jarmusch, Jeff Nichols, Ulrich Seidl, James Benning, Béla Tarr, Volker Koepp, Hubert Sauper, Nikolaus Geyrhalter, Thierry Michel, Christian Petzold und Kim Ki-duk.