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Melodys Baby

Meins, Deins – wem gehört das Leben?

Irgendwie ist dies der Film zur Stunde. Denn es geht auch – mal arg vereinfacht – um den unbedingten Wunsch, ein Kind zu bekommen, egal wie, egal wann, egal durch wen. Und da paßt es geradezu perfekt, daß sich in Deutschland eine bisher 13fache Mutter berufen fühlt, im Alter von 65 Jahren in diesem Sommer Vierlinge auszutragen. Und all jenen, die schnappreflexartig gleich wieder ins Japsen geraten, um eine Egoismusdebatte loszutreten, sei gesagt: Plärrt doch nicht so! Kinder zu bekommen, war schon immer von Eigennutz geprägt, früher noch verstärkt zum Erhalt der Familienversorgung, heute oft zum Vertreiben einer gewissen Alltagslangeweile, zum Bestehen neben Nachbarn, Bekannten und Freunden oder schlicht zur Verhinderung einer verkürzten Ahnenkette. Kaum einer kriegt doch Kinder, um den kleinen Wesen unsere friedliche, ach so lebenswerte Welt zu zeigen ... Also: Klappe halten, es gilt nun mal nicht zu bewerten, wer warum wann Kinder bekommt und gleichsam nicht, wer darauf verzichtet.

Doch zum Film: Emily will ein Kind, sie selbst kann keine bekommen, sie trifft im Internet auf die wesentlich jüngere Melody. Auch sie will ihr bisheriges Leben verändern – beruflich. Das Haaremachen bei älteren Damen bringt nicht genug ein, ein eigener Frisiersalon soll es sein. Ihre Habseligkeiten packt sie in einen Rucksack, geduscht wird im Schwimmbad, sie spart jeden Cent, und die zielgerichtete Bekanntschaft mit Emily verspricht die finanziellen Mittel für die Selbständigkeit. Melody wird also ein fremdes Kind austragen.

Erzählt ist die im übrigen großartig besetzte Geschichte im Echtheitstonfall der Dardenne-Brüder, was impliziert, daß auch moralische Fragen gestellt werden, ohne dabei in einen bornierten Anklagemodus ob eines entarteten Kapitalismus’ zu schalten. Regisseur Bernard Bellefroid konzentriert sich ganz auf das Annähern der zwei unterschiedlichen Frauen, ihre ersten Reaktionen sind allein von rein egoistischen Zielen geprägt: Emily, die erfolgreiche, aber nicht gebärfähige Unternehmenschefin, will ein Kind, Melody, die mädchenhafte junge Frau, will unternehmerische Unabhängigkeit. Sie umschleichen sich, interessieren sich füreinander, bezweifeln lange die Aufrichtigkeit der jeweiligen Intention, erkennen zugleich die gegenseitige Abhängigkeit.

Und hier entsteht das Große an diesem ungewöhnlichen Film: Bellefroid erzählt in der Annäherung der zwei beeindruckenden Frauen von Argwohn und Anpassung, von Egoismus und Teilhabe, von Ratio und Instinkt, um eben wie nebenher subtil gesellschaftliche Fragen einzuflechten: Wer verdient das bessere Leben? Wer bestellt, wer liefert? Und geht es letztendlich nicht immer um das „liebe“ Geld?

Wie gesagt – behutsame Fragen, ohne Zeigefinger aus dem Soziologie-Seminar. Dafür sind die beiden, nun verzahnten Schicksale viel zu zerbrechlich, dafür entsteht zwischen Emily und Melody eine kaum in Worte zu fassende Intimität. Da allein an den schnöden Mammon zu denken, verbietet sich, astreine Selbstaufgabe zu behaupten, ebenso. Diese Ambivalenz, weil sie ehrlich ist, tut gut, gerade in einer Zeit, in der die Hypokriten immer lauter bellen.

Originaltitel: MELODY

Belgien/Luxemburg/F 2014, 92 min
FSK 12
Verleih: MFA

Genre: Drama, Poesie

Darsteller: Rachael Blake, Lucie Debay

Regie: Bernard Bellefroid

Kinostart: 14.05.15

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.