Originaltitel: ARUNODAY

Indien/F 2014, 85 min
FSK 12
Verleih: REM

Genre: Drama

Darsteller: Adil Hussain, Tannishtha Chatterjee

Regie: Partho Sen-Gupta

Kinostart: 03.09.15

1 Bewertung

Sunrise

Intensives Kino aus Indien

Es gibt Dinge im Leben, die verwindet der Mensch nicht. Der Verlust eines Kindes gehört dazu. In Indien verschwinden nach offiziellen Angaben über 100.000 Kinder pro Jahr. Sie werden von Kriminellen verschleppt oder aus Geldmangel von den eigenen Eltern verkauft. Die meisten landen in der Prostitution oder enden als Arbeitssklaven. Nur ein Bruchteil von ihnen taucht jemals wieder auf. Der indische Regisseur Partho Sen-Gupta wurde in seiner Kindheit selbst Opfer eines gescheiterten Entführungsversuches. Sein so brillianter wie düsterer Film SUNRISE ist eine eindringliche Anklage gegen die Brutalität und Gleichgültigkeit der indischen Gesellschaft.

Die kleine Tochter von Inspektor Joshi und seiner Frau Leela verschwand vor zehn Jahren spurlos. Leela lebt seitdem in einer Traumwelt, in der die Tochter nach wie vor präsent ist. Und Joshi sucht noch immer ohne Ruhe Nacht für Nacht im Moloch Mumbai nach ihr. In seinem Beruf wird er tagtäglich konfrontiert mit vermißten, gefolterten und getöteten Kindern – und mit seiner eigenen Ohnmacht, etwas dagegen zu tun. In den labyrinthartigen Gassen der Stadt verfolgt er eine bedrohliche Gestalt, vielmehr ein Schatten. Mag sein, daß es eine Manifestation des Bösen ist. Sie führt ihn ins Herz der Finsternis, in die düsteren Nachtklubs, wo die traurigen Mädchen tanzen.

Im ohne Unterlaß strömenden, nächtlichen Monsunregen verwischen die Unterschiede zwischen Wirklichkeit und Wahn, zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Auf der Leinwand entsteht eine flirrende Zwischenwelt, in der es keinen festen Boden gibt, auf den die Realität sich gründen könnte. Es existieren keine scharfen Konturen, alles verschwimmt im unbarmherzigen Regen. Die meisterhafte Bildgestaltung, eine verfremdende Farbgebung und vor allem der artifizielle Sound von Nicolas Bourgois, Ken Yasumoto und Eryck Abecassis erzeugen eine beklemmende, albtraumhafte Atmosphäre, die an manche Werke David Lynchs oder auch an Ridley Scotts BLADE RUNNER erinnert. Es fallen nur wenige Worte zwischen den Figuren, umso mehr erzählen die Gesichter und Körper der Darsteller.

Die Geschichte kommt langsam in Bewegung, bis schließlich der Zuschauer in den starken Sog von Leid und Verzweiflung des Protagonisten gerät. Partho Sen-Gupta zeigt in SUNRISE die Innenansicht einer traumatischen Erfahrung, von der ein jeder Mensch nur hoffen kann, daß sie ihm erspart bleibt.

[ Dörthe Gromes ]