Noch keine Bewertung

The Fog Of War

Nebelleuchten in der Kriegslogik

Daß die Fähigkeit, aus der Geschichte zu lernen, in der menschlichen Natur nicht angelegt ist, gehört zu den zentralen Erfahrungen von Robert McNamara, wie er sagt. Als Statistiker trägt der Harvard-Absolvent im 2. Weltkrieg zur "Effektivierung" (Brandbomben) der Luftangriffe gegen Japan bei. Als der Kalte Krieg auf Kuba fast zur nuklearen Katastrophe überkocht, ist er Verteidigungsminister, führt das Amt nach Kennedys Ermordung unter Johnson weiter: Agent Orange, 1,5 Millionen Tonnen Bomben, 8 Millionen tote Vietnamesen, 58000 tote Amerikaner. Man weiß, wie es nach McNamaras Rücktritt weiterging - just a little bit of history repeating.

In den Interviews mit dem polarisierenden Politiker, die Errol Morris ins Zentrum seiner Dokumentation stellte, unternimmt der 85jährige eine sachliche, kühle Analyse: Fehlinterpretationen, halb und kaum gesicherte Annahmen, ideologische Kurzschlüsse, Ignoranz, Arroganz und deren innere, zwingende Logik. Die eigene Schuld mildern andere Zwänge, die Loyalität für den jeweiligen Dienstherrn zum Beispiel, die McNamara der für seine Landsleute vorzog, zumindest öffentlich.

"Versetze dich in deinen Feind" lautet die erste von elf Lektionen, die Morris aus den Gesprächen destilliert - alles knackige, durchaus auch triviale Sätze, die mal nach ethischer Maxime, mal nach raffinierter Spielregel klingen. Unabhängig von der Chronologie der Ereignisse werden sie zur thematischen Leitstruktur, der sich das Archivmaterial unterordnet. So geraten bekanntere Bilder und erst kürzlich freigegebene Tonaufnahmen zu Illustrationen einer Lebensgeschichte, die sie doch erst hervorbrachte ... seltsam. Zudem sind sie zur Musik von Philip Glass so kunstvoll-rasant montiert, daß einem schon mal die Schauplätze und Fakten vor den Augen verschwimmen. Artifizielle Vernebelung also, weniger Hellsicht als erhofft - doch Morris will gleichwohl aufklären.

Vor allem erlaubt er jene Differenzierung, die Kollege Michael Moore seinem Publikum nicht zumuten will. Er riskiert Widersprüche. Er riskiert weiterhin, daß McNamara spätestens mit diesem Leitsatz außer der Reihe alle Antworten wieder relativiert: "Beantworte, was du gern gefragt werden würdest, nicht, was du gefragt wirst."

Originaltitel: THE FOG OF WAR

USA 2003, 106 min
Verleih: Movienet

Genre: Dokumentation, Biographie, Polit

Stab:
Regie: Errol Morris
Musik: Philip Glass

Kinostart: 14.10.04

[ Sylvia Görke ]