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The Pianotuner Of Earthquakes

Brotkrumen im digitalen Irrgarten

"Diese Dinge geschehen nie, sind aber immer." Mit einem Zitat des römischen Geschichtsschreibers Sallust erwacht der Film zum Leben. Sallust, ein Weggefährte Cäsars, war bekannt für seine Neigung zu archaischer Ausdrucksweise und verdichtete Gedanken, deren Verbindungen sich dem Leser oftmals erst spät erschließen. Mit digitaler Technik und Stummfilm-Ästhetik schuf das Regieduo Stephen und Timothy Quay den cineastischen Grenzgang THE PIANOTUNER OF EARTHQUAKES, dessen Anspielungen und Zeichen selbst ein geübter Geist kaum alle zu enträtseln vermag.

Auf einer Insel verschafft der "Gehirndoktor" Emmanuel Droz traumatisierten Menschen Heilung und nennt seine Patienten respektvoll "die Gärtner". Doch Droz verbirgt ein dunkles Geheimnis, er hat das Rätsel der Wiederbelebung entschlüsselt und wendet sie an der Opersängerin Malvina an, die er abgöttisch verehrte und einem anderen Mann brutal entwendete. Sie wird nun zur Schlüsselfigur in seiner präzise vorbereiteten Rache an der Welt der Hochkultur, die sein musikalisches Schaffen verschmähte. Sieben Automaten sollen Droz dabei behilflich sein, doch sie müssen gewartet werden. Für den perfekten Ablauf seines Planes benötigt er die Hilfe eines Spezialisten und bestellt den Klavierstimmer Felisberto auf die Insel. Dieser durchschaut bald die Machenschaften und verliebt sich in die schöne Malvina. Wird er Droz aufhalten können?

Jeder von Droz’ Automaten ist ein kleines Wunderwerk. Mit kunstvoller Animationstechnik wurden sie von den Quays zum Leben erweckt und stehen stellvertretend für den Film: sie sind schön, filigran und dennoch mechanisch. So geschmeichelt sein Auge auch ist, so recht wüßte der Zuschauer nicht, worum es geht, wenn es nicht die Figuren immer wieder erzählen würden - in Dialogen, die bedeutungsschwanger irgendwo zwischen sinnlich und abstrus schweben. Faszination erzeugen weniger die Geschichte vom wahnsinnigen Doktor, der glaubt, die Abläufe von Leben und Tod steuern zu können, als die Vielfalt von Dopplungen, Symbolen und Zeichen auf Droz’ Insel (die im übrigen in der Leipziger Media City in voller Größe erbaut wurde).

Ein zauberhaftes, leuchtendes Geschöpf haben die Gebrüder Quay da in die Welt gesetzt. Es kleidet sich in sonderbare Worte und ein Gewand aus Dornen, das jeden abwehrt, der es begreifen möchte.

Originaltitel: THE PIANOTUNER OF EARTHQUAKES

D/GB 2005, 99 min
Verleih: Piffl

Genre: Psycho, Fantasy, Poesie

Darsteller: Gottfried John, Cesar Sarachu, Amira Casar, Assumpta Serna

Stab:
Regie: Stephen Quay, Timothy Quay
Drehbuch: Stephen Quay, Timothy Quay

Kinostart: 17.08.06

[ Roman Klink ]