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Troubled Water

Still, gefährlich und unergründlich tief

Bei der ganzen Aufregung um die werweißwievielte Renaissance des 3D-Films vergißt man leicht, daß Kino auch ohne Spezialbrillen und hochveredelte Projektionstechnik Räume in all ihren Dimensionen ausschreiten kann. Die Wege mögen verschlungener sein als die paar Zentimeter zwischen dem rechten und dem linken Auge. Doch vielleicht begegnet man auf ihnen den größeren Herausforderungen. Was könnte schließlich gefährlicher sein, als der Moment, in dem sich ein Täter und ein Opfer gegenüberstehen?

Jan Thomas hat diesen Moment vor sich. Er weiß, daß er kommt, nach acht Jahren Gefängnis, in denen er, der ehemals Halbstarke, erwachsen wurde. Aber er hat keine Ahnung, wie bald ihm jene Frau gegenüberstehen wird, deren Kind noch immer durch seine Alpträume spukt – im aufgeschwemmten Anorak, zwischen all dem Wasser, das sie beide umgibt. Für die Stelle als Kirchenorganist, den ersten Job in Freiheit, stellt er sich nur als Thomas vor. Und er gibt sich so still, daß einem die Musik aus seinen Händen immer etwas zu laut erscheint. Eine Fremde unten im Kirchenraum habe er damit zu Tränen gerührt, trägt man ihm zu. Daß die Frau Agnes heißt und um einen Sohn weint, dessen Leichnam vor über acht Jahren spurlos verschwand, wird Thomas schnell erfahren. Der Moment ist da.

Erik Poppe heißt der unerschrockene Wikinger, der sich hier mit nichts als Low-Tech auf dem Leib in die unruhigen Gewässer von Schuld und Vergebung stürzt. Eigentlich aber wirft er sich in den Abgrund zwischen zwei Geschichten, an deren Enden immer derselbe kleine Junge tot ist. Was Thomas erlebt, was Agnes durchleidet, ein ganzer Kriminalfilm und ein vollständiges Drama des Verlustes werden hier so virtuos ineinander geschaltet, daß einem das Wie und Warum vor den Augen verschwimmt. Emotional gewaltig, aber bescheiden und taufwasserklar in Bildern und Worten materialisiert sich hier ein kleines Wunder der prädigitalen perspektivischen Baukunst, liebe Freunde des Dreidimensionalen.

Und es muß sich seiner „analogen“ Zaubereien nicht schämen: eine ausgeklügelte Schnittpartitur, ein elliptisches Kunststück, das den gefährlichen blinden Fleck zwischen zwei Szenen, den verborgenen Gedanken hinter der Stirn nicht vor der Zeit entblößt. TROUBLED WATER ist die hohe Schule des Erzählens in Fragmenten. Im Mund von Thomas bilden sie den entscheidenden Satz: „Nichts hilft, wenn jemand stirbt.“

Originaltitel: DE USYNLIGE

Norwegen 2008, 121 min
FSK 12
Verleih: Kool

Genre: Drama

Darsteller: Pål Sverre Valheim Hagen, Ellen Dorrit Petersen, Trine Dyrholm

Regie: Erik Poppe

Kinostart: 18.03.10

[ Sylvia Görke ]