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Unser Paradies

Die blutige Oper einer vergifteten Liebe

Geschichten von der Liebe unter Strichern gibt es einige im Kino, man denke an Gus van Sant und auch an Sebastien Lifshitz. Und doch erzählte bisher keiner so davon wie Gael Morel in diesem eigenwillig schönen Film – romantisch und vergiftet, zärtlich und blutig, opernhaft und selbstzerstörerisch. Und mutig – denn wer setzt schon einen Typen ins Zentrum seines Films, der aufrichtig lieben und trotzdem scheinbar motivlos töten kann. Einen, der um die 30 bereits am Altern leidet, der zynisch, brutal, kompromißlos und gierig ist. Eigentlich einer, den man nicht mag. Und von dessen Geschichte man trotzdem regelrecht hypnotisch gefesselt wird.

Vassili heißt dieser Mec, der noch immer auf dem Strich Geld verdient, die Taschen dabei aber längst nicht so voll trägt wie damals, als er noch Frischfleisch war und die Francs lockerer saßen bei der Pensionärsklientel. Immer verzweifelter wird die Suche nach Kunden, noch hat er Prinzipien: niemals Bareback. Aber wie lange noch? Da wirkt es wie Glück, als er in der schäbigsten Ecke des Bois de Boulogne einen ausgeraubten und zusammengeschlagenen Blondschopf aufliest, den er bei sich aufnimmt und ihn Angelo nennt. Zusammen heißt das Zauberwort: zusammen einschlafen, zusammenhalten, zusammen anschaffen. Doch der Zuschauer weiß da schon mehr als Angelo, denn längst hat die Wut auf die Jugendversessenheit der Freier in Vassili den Verstand, den Respekt und das Menschsein angefressen, da hat er schon versucht, einen seiner Kunden umzubringen. Genau darum heißt es auch bald: zusammen töten.

Morel verknüpft sein rauhes Milieu mit Poesie, dazu paßt auch Angelos Selbstverständnis seines neuen Lebens: „Ich wurde vor einigen Tagen im Wald geboren ...“ Dabei werden das Anschaffen, der Druck, die Not, der Dreck und die Gefahr keineswegs verromantisiert, doch Morel ist kein Dokfilmer, er liefert kein Feature, er macht Kino. Dazu gehören starke Bilder, und eines wird einem nicht mehr aus dem Kopf gehen: Nachdem Vassili dem Jungen versprach, niemandem mehr etwas zu tun, bricht der sein Wort, und wir sehen einen erstochenen Freier im Blutbad vor unschuldig rieselndem Schnee. Die Jungs sind bald auf der Flucht, noch lassen sich die Spuren verwischen, aber jeder, der das Kino kennt, weiß nun mal, daß sich der Schmutz von Paris in den schneeweißen Bergen kaum von den Absätzen löst. Morel konzentriert sich weniger auf die absurder werdende Situation der Zwei, er fokussiert klar auf das Innenleben seiner Figuren. Angelo ­ – der noch recht naive, noch nicht vollends verlorene Junge, Vassili – der Welkende, der eine größere Vergangenheit als Zukunft hat. Denn passé ist passé – heute tanzen sanftere Jungs als er im „Queen“ an den Champs Elysées.

Es ist eine Geschichte der Zukurzgekommenen, der Unreifen, der vom Leben und Lügen Abgewetzten, und durch die Ausweglosigkeit, das Radikale in den Entscheidungen und auch durch die tumbe Hamsterradgeilheit einer primtiven Gesellschaft ist UNSER PARADIES auch Bildnis einer großen Erbärmlichkeit. Es ist ein ehrlicher Film, der es versteht, anzuklagen, ohne didaktischen Holzhammer, der Angelos Jungsein durchaus bejaht, denn es ist ja etwas Schönes und keineswegs falsch, den eigenen Körper zu lieben. Es ist von bizarrem Reiz, wenn Morel geradezu zärtliche Bilder malt, wie das einer anrührend innigen Umarmung der beiden, nachdem ein Arzt Angelo wieder hergestellt hat, und dieses nur tut, um im Finale zu einem brutalen Akt geradezu Hanekscher Couleur auszuholen. Wie gesagt: Mutig ist der Film. Mindestens.

Originaltitel: NOTRE PARADIS

F 2011, 97 min
FSK 18
Verleih: Salzgeber

Genre: Schwul-Lesbisch, Drama, Thriller

Darsteller: Stéphane Rideau, Dimitri Durdaine, Béatrice Dalle

Regie: Gael Morel

Kinostart: 10.05.12

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.