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Boy A

Brillantes Drama über eine chancenlose Normalität

Choose A Name – so wird aus dem einstigen Teenager Eric ein junger Mann namens Jack. Ein neuer Name, ein neuer Anfang, eine neue Wirklichkeit. Jack war im Gefängnis, mehr als die Hälfte seines bisherigen Lebens. Und nun steht ihm Terry zur Seite, ein guter Mann, der sich als Bewährungshelfer um den Mittzwanziger kümmert, der ihm helfen kann, mit seiner Schuld zu leben, der als einziger weiß, wer Jack eigentlich ist oder besser, wer Eric war – ein Kind mit Blut an den Händen. Damals, als er mit dem Einzelgänger Philipp Craig befreundet war, dessen Grab er nun besucht ...

Der Einstieg in diese fesselnde Geschichte, die einst nur fürs Fernsehen konzipiert war und zum Glück nun doch ins Kino kommt, ist effizient erzählt, klug im Schnitt und in der Kameraarbeit, gerade letztere versteht sich hier noch als Illustrator, als Ko-Erzähler – eine Seltenheit im Reißschwenkkino der Gegenwart. Das neue Leben Jacks ist ein ganz normales, ein einfaches Leben in der englischen Mittelschicht, er findet neue Freunde, geht einer regelmäßigen Arbeit nach, trinkt das eine und andere Pint im Pub, und er verliebt sich. Das erste Mal wahrscheinlich, dazu paßt dieses noch immer staunende Jungengesicht. Da John Crowley nach der kurzen Ouvertüre immer wieder Rückblenden in eine vorerst relativ unbeschwerte Kindheit schneidet und diese mit wüsten Träumen Jacks mischt, wird schnell klar, daß das Böse in dieser Geschichte um eine zweite Chance Boden gutmachen wird, ganz langsam, auf ganz kleinen Füßen – daraus entsteht ein Thrill, eine Fiebrigkeit, die kaum glauben läßt, daß Crowley quasi noch ein Filmnovize mit gerade mal zwei vorangegangenen Regiearbeiten ist. Das Werk eines Könners ist zu bestaunen mit diesem Porträt einer verkorksten Seele, das eine Spannung aufbaut, die zur Nervosität des Jungen paßt, denn Jack muß höllisch aufpassen, er darf nichts verraten, weiß er doch ganz genau, daß die Presse und der Mob nur lauern, auf den Tag X, an dem bekannt wird, daß einer der Milton-Mörder wieder auf freiem Fuß ist ...

Als zur hysterisch aufgebrachten Öffentlichkeit effektives Gegenmittel setzt Crowley seinen ruhigen, ohne Hatz auskommenden Erzählstil fort und entflicht quasi nebenbei auch eine Geschichte über Bigotterie. Denn ganz schnell ist beim Pöbel vergessen, daß Jack gerade erst einem kleinen Mädchen nach einem Verkehrsunfall das Leben gerettet hatte. Schlichtweg berührend ist außerdem die Geschichte einer sehr schönen, verteidigungswürdigen Jungenfreundschaft, die in ihrer Offenheit schon dunkle Schatten, gerade auf Philipps Leben, wirft und leider ein grausames Ende finden muß.

Der höchste Trumpf dieses herausragenden Films ist sein Hauptdarsteller Andrew Garfield, der diesen Jack wie ein scheues Kind spielt, dem das Leben manchmal so passiert, das zu gern vergessen, wieder gutmachen würde, aber von Beginn an diese Chancenlosigkeit wittert. Am Anfang sieht man den jungen Mann noch öfter lächeln, am Ende wird trotz der Brighton-Sonne im Gesicht Jacks, der wieder Eric ist, dessen Blick nur noch ängstlich und sehr, sehr müde sein.

Originaltitel: BOY A

GB 2007, 106 min
Verleih: Senator

Genre: Drama

Darsteller: Andrew Garfield, Peter Mullan

Regie: John Crowley

Kinostart: 07.05.09

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.