Originaltitel: LE DERNIER VIDE-GRENIER DE CLAIRE DARLING

F 2018, 95 min
FSK 0
Verleih: Neue Visionen

Genre: Drama, Poesie

Darsteller: Catherine Deneuve, Chiara Mastroianni, Alice Taglioni

Regie: Julie Bertuccelli

Kinostart: 02.05.19

2 Bewertungen

Der Flohmarkt von Madame Claire

... als Ausverkauf eines Lebens

Madame Claire Darling wacht morgens auf und ahnt sofort: Heute schlägt ihr letztes Stündlein. Sie, zwar etwas dement, trotzdem eine echte entscheidungsfreudige Dame, wählt für die finale Reise leichtes Gepäck, was bedeutet, das vollgestopfte Gutshaus auszuräumen und den titelgebenden Flohmarkt zu veranstalten. Unmengen an Büchern, Gemälden, Lampen, Geschirr, Porzellan müssen bis zum Dahinscheiden am Abend unters Volk kommen.

Claires (vermeintliches?) Ende soll also der Anfang jenes Films sein, und wir schließen uns direkt an, schielen zu seiner Pointe und bleiben analog zur exorzierten Villa zurück: entgeistert. Weil schon stark Überzogenes geschieht, Fragen nach Augenmaß und erzählerischer Angemessenheit aufscheinen. Andererseits ... Vielleicht war’s nötig, Claire durch einen regelrechten Knalleffekt aus der Handlung zu verabschieden? Hat eine so rigoros gegen alles und jeden wetternde, gleichermaßen indes emotional hadernde Person derartige Enthemmung möglicherweise verdient, ja, sogar eingefordert?

Wie sie immer viel verlangte. Ob ihr nur Flucht in unnachgiebige Strenge übrigblieb? Oder Wunsch und Wirklichkeit zu heftig kollidierten? Eingestreute Rückblenden geben fragmentarische Auskunft, belassen einiges im Dunkel, Claires geistige Verwirrung trägt zusätzlich zum Wechselspiel aus Gegenwart und Vergangenheit bei. Catherine Deneuve entdeckt da in reifem Alter eine neue Seite bewiesen großen Talents, schält feinfühlig das drohende Vergessen heraus, welches sich konträr zu Claires schroffer Eleganz positioniert. Eben noch fast brechend und kleinlaut, braust Augenblicke später eine Stimme donnernd auf, huldigt einstiger Härte. Und obwohl Deneuve ihrem Schönheitschirurgen vermutlich keinen Prunkbau am Meer, doch sichtlich ein vorstädtisches Reihenhäuschen finanzierte, passiert mimisch ebenfalls einiges in diesem unverändert stolzen Gesicht. Daß Claires zu Hilfe gerufene Tochter Marie von Deneuves Tochter Chiara Mastroianni verkörpert wird, gerät außerdem zum Besetzungscoup.

Das Leinwand-Verhältnis „unterkühlt“ zu nennen, wäre nämlich glatte Verharmlosung. Linst hier etwa der Familientherapeut ums Eck, hat das Deneuve-Mastroianni-Doppel private Aufarbeitungslücken? Man weiß es nicht, genießt einfach den darstellerisch hochqualitativen Schlagabtausch, roter Faden eines bald thematisch vielfältig aufgestellten Dramas; bereits die elegische Musik gibt klar entsprechende Richtungen vor. Wer Ohren hat zu hören, stürzt parallel gedanklich in nahezu beiläufig aufgerissene Innenweltsgräben: „Ich habe genug Zeit damit vertan, mir den Tod zu wünschen.“ Zugewandte Augen sehen dazu, wie wildfremde Menschen Claires Fotoalben durchblättern, Bilder begaffen, zu denen keinerlei persönliche Bindung besteht. Möbel, deren wahrer Wert sich aus den verbundenen Erinnerungen bemißt, für beschämende Spottpreise nach Hause oder zum teuren Weiterverkauf schleppen. Claire läßt alles gehen, trennt sich selbst von den gesammelten Puppen, früheren Begleitern und Beschützern, sie mögen ein zweites Zuhause finden, bestenfalls gut behütet.

Auch wenn schließlich Enthüllungen von Schuld berichten, erzieherische Fehler und weit Schlimmeres zur Sprache gelangen: Die tiefste Melancholie entwächst Claires Verramschen des eigenen Lebens. Wie sie kurz vor Schluß ganz allein, aber spürbar gelöst und aufgeräumt, quasi versöhnt, im Autoscooter Runden dreht, ist bezaubernd. Und unendlich traurig.

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...