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Geheime Wahl

Demokratie im Belastungstest

Eine einsame Insel vor der iranischen Küste, oben drauf ein Feldbett, zwei Soldaten, ein Gewehr, noch weiter oben der blau-gold-rote Morgenhimmel mit Flugzeug von rechts nach links. Herunter fällt wie immer nichts Gutes: eine Wahlurne. Doch auch vom Meer her wird der wachhabende iranische Offizier von der Demokratie belästigt. Sie entert das Eiland in Gestalt der Wahlhelferin. Wählen sei ein Bürgerrecht, erklärt sie dem mürrischen jungen Mann den Sinn des turnusmäßigen Ärgernisses. Und ja, das habe seine Richtigkeit, daß man sie - als Frau - hierher schickt. Sie hat das schriftlich.

Bis zum Abend werden die beiden mit der Urne im Militärjeep über die Insel kurven - eine wirkliche Geduldsprobe, eine harte Prüfung für jeden Idealismus. Denn was der iranische Regisseur Babak Payami diesen zwei armen Menschen zumutet, ist nichts weniger, als eine Wählerjagd mit Verfolgungsläufen zu Fuß, vielen Erklärungen und noch mehr guten Worten. Ein flüchtiger Schmuggler wählt nur, weil das Gewehr mit von der Partie ist, eine zwölfjährige Ehefrau darf ihre Stimme nicht abgeben, weil sie dafür noch zu jung ist, ein paar Männer wollen gleich für die ganze Familie, Nachbarn und Freunde mitstimmen, einer will nur die Kandidatur von Gott unterstützen.

Jede dieser absurden Episoden fängt Payami mit dem genauen Blick eines Karikaturisten ein. Szene an Szene entsteht so eine Art Comicstrip, ein Bilderbogen von Fragen nach dem Sinn von Wahlen, nach wirklichem Mitspracherecht und nicht zuletzt danach, ob Menschen davon wirklich Gebrauch machen wollen. Unwissenheit, Bequemlichkeit, Ungleichheiten sozialer oder geschlechtlicher Art, Enttäuschung oder eben ein Soldat, der Stimmzettel mit dem Gewehr einsammeln will - die Demokratie ist eine von allen Seiten angefeindete Sache. Dabei läßt sich Payamis wunderbar treffsichere, in jeder Einstellung gewitzte politische Parabel bei Weitem nicht nur auf seine Heimat anwenden.

Schließlich muß man dem mürrischen Soldaten, der kurz vor dem seltsamen Entschwinden seiner Begleiterin endlich auch seine Stimme abgibt, widerwillig aber schmunzelnd recht geben: "Eine Kiste fiel vom Himmel und ruinierte mir den Tag."

Originaltitel: RAYE MAKHFI

Iran 2001, 105 min
Verleih: Kairos

Genre: Komödie, Polit

Darsteller: Nassim Abdi, Cyrus Abidi

Stab:
Regie: Babak Payami
Drehbuch: Babak Payami
Kamera: Farzad Jodat

Kinostart: 08.01.04

[ Sylvia Görke ]