Originaltitel: MEMOIR OF A SNAIL

Australien 2024, 93 min
Verleih: Capelight

Genre: Animation, Tragikomödie, Poesie

Regie: Adam Elliot

Kinostart: 24.07.25

Memoiren einer Schnecke

Leinwandwunder gescheh’n

Der Lebensbericht von Grace – als Inhaltsangabe reichte das grundsätzlich aus. Und zur Bewertung genügte, diesem Monolog Meisterwerkstatus zu verleihen: der schönste, schrägste, partiell niederschmetterndste, gleichzeitig hoffnungsvollste Animationsfilm seit 16 Jahren. Weil ihm nur MARY & MAX vom selben Regisseur auf ungefährer Augenhöhe begegnet.

Genannte junge Frau thematisiert Dinge schmerzhaft direkt, etwa die Tatsache, daß Mama starb, nachdem sie Grace und Zwillingsbruder Gilbert zur Welt brachte: „We Left Her Womb. She Entered Her Tomb.“ Halskloß! Es geht bitter weiter, der gelähmte Alkoholiker-Papa folgt ihr bald, die Geschwistertrennung reißt Wunden, Gilbert gerät in die Fänge religiöser Fanatiker, Grace wächst bei zumindest anfangs bemühten Fans der Farbe Beige auf; immer führt da Eigennutz zu Fremdverletzung. Erst Pinky, eine kauzige alte Dame, holt sie aus Einsamkeit und Psycho-Abgrund. Dauerhaft?

Jeden reichlich abgefahrenen Gag (Pinky jobbt im „Schnitz ’n’ Tits“, verlor einen Finger und ist doppelt verwitwet) erden neuerliche Gefühlsklatschen oder gar echte Grausamkeiten, durch die behutsam berümpelten (Wimmel-)Bilder fließt Blut, klirrt Verbalfrost. Todkomisch und todtraurig liefern zwei Seiten der identischen Medaille; jene Tränen im Auge, wurden sie gelacht oder geweint? Und trotzdem bleibt noch Platz für politische Sticheleien, sarkastisch zugespitzte Alltäglichkeiten. Gigantisches Herzklopfen sowieso. Grace’ Biographie gefällt sich nicht im Elend, entlarvt Selbstmitleid und Mutlosigkeit, stellt ihnen Ideen und Phantasie entgegen. Wenn sie dann fürs Weitermachen final ein Wunder belohnt, gibt’s keine Frage mehr: geweint.

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...