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Sommer in Orange

Die Provinz im Farbrausch

Die Bayern sind ein bedrohtes Volk. Seit jeher umzingelt von Preußen, Kruzitürken und Sozis, hetzt man ihnen im Filmjahr 1980 eine Gefahr ganz neuer Qualität auf den Hals: eine Berliner (!) Kommune (!) von vegetarisch (!) lebenden Bhagwan-Anhängern, die Bäume liebkosen wie sonst nur der Schorsch seinen Traktor. Die Horde von Sinnsuchern nistet sich in Talbichl ein, tanzt nackert im Garten, tantriert sich ihre Traumata aus dem Leib, während das bayerische Dörflein in Kopfschütteln versinkt. Amrita und ihre in Orange gewandeten Kommunarden haben dafür neben all der spirituellen Kärrner-arbeit kaum einen Blick. Amritas Kinder allerdings, die man ungefragt in diese Idylle verfrachtete, können den Culture Clash im Schulalltag kaum ignorieren. Besonders für Lili heißt es: Dirndl oder Ashram-Look, Kartoffelbrei mit oder ohne Wurscht, rein in den Verein oder für immer raus aus einer Dorfgemeinschaft, die kaum eine Abweichung duldet.

Regisseur Rosenmüller kennt seine Bayern, oder besser: die Klischees über sie, nicht zuletzt das vermeintliche Höchstmaß an lüftlhaft-verspieltem Surrealismus mit Heilstein und Guru, das man ihnen zumuten darf. Die spirituellen Großstadtmoden der 80er Jahre, Egoismus und Spießbürgerlichkeit all der Verbalrevoluzzer, ob nun in Batik- oder Bhagwan-Uniform, steuerte die Drehbuchautorin Ursula Gruber bei. Ein hübsches Sümmchen von wohlfeilen, fast schon historischen Vorbehalten ist so zusammengekommen – ohne Rücksicht auf das durch regelmäßigen Gebrauch abgenutzte Komödienmaterial, ohne Scheu vor einer kaffeetafelsauberen Moral, auf die sich Dörfler und Zugereiste selbstredend einigen können.

Es war zu lesen, daß der aus Tegernsee stammende Rosenmüller von Freunden und Weggefährten Rosi genannt wird. So macht man das halt bei einem Spezl, bei oanem von uns. 2006 bot er dem Publikum mit seinem Debüt WER FRÜHER STIRBT, IST LÄNGER TOT erstmals das Du an und brachte seine dialektgefärbte Lausbubengeschichte auf Augenhöhe mit beinahe jedem – ob der nun auf Zehenspitzen hinauf- oder leicht gebeugt herunterschauen mußte.

So viel Volkstümlichkeit mag schmeicheln, hat aber über die Jahre und Filme deutlich an Unschuld verloren. Und weil wir inzwischen – bis auf Rosenmüllers Hauptfiguren – alle erwachsener geworden sind, können wir ruhig beim Sie bleiben, gell?

D 2011, 110 min
FSK 12
Verleih: Majestic

Genre: Komödie, Erwachsenwerden

Darsteller: Amber Bongard, Béla Baumann, Petra Schmidt-Schaller, Georg Friedrich, Oliver Korittke, Brigitte Hobmeier

Stab:
Regie: Marcus H. Rosenmüller
Drehbuch: Ursula Gruber

Kinostart: 18.08.11

[ Sylvia Görke ]