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White Shadow

Verworfen und verloren

„Ein paar Paracetamol und ein wenig Zauberpulver, schon kannst Du fliegen.“ Es ist eine dieser seltsamen Stimmen aus dem Off, die in WHITE SHADOW für eine wesentliche Zutat steht. Regisseur Noaz Deshe arbeitet für sein markerschütterndes Debüt mit stilistischen Raffinessen, die knappe zwei Stunden lang nur mit voller, nie halber Aufmerksamkeit zu rezipieren sind. Zeitsprünge, Geräusche, dazu eine verwegene Handkamera mit kippenden Schwenks und Kopfüber-Einstellungen, rasanten Schnitten, spärlich ausgeleuchteten bis komplett dunklen Bildern, die nur über Konturen zu erahnen sind, bringen eine Begegnung der wirklich besonderen Art. Man sollte beim Zusehen nicht vergessen, Luft zu holen. Sie könnte knapp werden.

Denn da wäre auch noch das Thema, um das WHITE SHADOW gierig fiebert: Es geht um Alias, einen Jungen in Tansania. Er ist ein doppelt Verlorener, denn die Natur hat ihn auserwählt, in Schwarzafrika fast weiß zu sein. Alias leidet an Albinismus. Der Begriff „Albino“ ist ein Schimpfwort, das die Umgangssprache längst vereinnahmt hat, während der Umgang mit betroffenen Menschen zwischen Angst, Ignoranz, Mitleid und Verfolgung schwankt. In Tansania steht ein „Albino“ für eine besonders perfide Geldquelle, denn dort bekommt man für den Handel mit Organen dieser Bevölkerungsminorität vergleichsweise Unsummen ausbezahlt.

Alias erlebt, wie sein Vater bestialisch ermordet wird. Seine Mutter schickt ihn fort, um Unheil vom Sohn abzuwenden. Doch bei ihrem Bruder Kosmos wird es nicht viel besser. Nur scheinbar sieht es so aus, als könne die Anonymität der Stadt Alias schlucken. Mühsam findet er Anschluß, zart nur sind die Fäden zu Kosmos’ Tochter Antoinette, zu Salum, einem „Albino“, wie er es ist. Selbst die zerbrechlichste Beziehung sorgt hier noch für einen Hauch Poesie. Für diesen Film aber wird sie keine Säule, höchstens eine feine Linie aus Marmor.

Das Nachhaltigste an der Wirkung von WHITE SHADOW ist, daß er nicht „über“, sondern „von dort“ ist. Authentische Schauspieler hantieren mit den großen Zeichen aus Schamanismus, Christentum und Menschenverwerfung, sie rasen mit Verve gegen die Wand aus kollektivem Desinteresse der satten Welt. Allein deshalb ist Noaz Deshes Werk ein mutiger Versuch, dem Kinobetreiber adäquat entsprechen, wenn sie ihn der internationalen Festivalrotation entreißen und einem wachen Tagespublikum zumuten.

Originaltitel: WHITE SHADOW

Tansania/D/I/USA 2013, 115 min
Verleih: Temperclay

Genre: Drama

Darsteller: Hamisi Bazili, Salum Abdallah

Regie: Noaz Deshe

Kinostart: 06.11.14

[ Andreas Körner ]