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Das unmögliche Bild

Laute Musik und Karpfen vor dem Fenster

Es ist Sommer, ein kleines Mädchen im weißen Kleid macht Hula-Hoop im Garten, die ältere Tochter humpelt auf Krücken durchs Gras und lächelt in die Kamera. Die Mutter bringt eine Karaffe Limonade aus dem Haus, soll aber noch mal umkehren, damit es schöner aussieht. Alles in DAS UNMÖGLICHE BILD sieht nach selbstgedrehten, grisselig-flackernden Familienbildern aus, solche, die an alte Zeiten erinnern, in denen die Welt noch eine heile war.

Denn kurz darauf stirbt der Vater, und eine leise Vorahnung, daß nicht alles so echt ist, wie es aussehen soll, kommt auf, als die Kamera gefühlte Minuten lang ein totes Tier ins Visier nimmt. „Nur die Nachbarskatze hat den Anstand gehabt, sich überfahren zu lassen“, sagt die 13jährige Johanna im Off-Ton, die nun weiter filmt und erstaunt feststellt, daß nach Vaters Tod einfach alles so weiterläuft, als sei nichts gewesen, damals im Juni 1956.

Und überhaupt dreht sich in diesem Film viel um Tod und Erinnerung. Die Mutter ist mit den Töchtern zur Großmutter gezogen, und Johanna mäandert mit ihrem kindlich offenen Blick durchs große Haus: Sie filmt die Schul-einführung der kleinen Schwester, die Männer, die bei Bier über die Wehrmacht sinnieren, und die Frauen, die zu Großmutters Kochklub kommen und dann im Nebenzimmer irgendetwas tun, was sie nicht richtig versteht. „Die Musik muß laut sein, damit der Teig nicht sauer wird“, nennt Regisseurin Sandra Wollner ein Kapitel ihres Films, der ein wohlgehütetes Geheimnis langsam und schmerzvoll offenlegt. „Gerda, wie lange bleibst Du bei uns?“, fragt Johanna eine junge Frau, die im Haus verweilt. „Ich weiß nicht, ich habe Angst“, sagt eine Stimme aus dem Off.

Wollner, die in Ludwigsburg Dokumentarfilm-Regie studiert und für ihr Langfilmdebüt den Förderpreis der Hofer Filmtage erhielt, ist ein ungewöhnliches und herausragendes Experiment gelungen. Kunstvoll inszeniert sie das Genre des privaten Bildes, unterwandert unsere HD-Sehgewohnheiten und macht so den Zeitgeist der Nachkriegsjahre sicht- und fühlbar. Gegen Ende des Films verschwimmen dann die Ebenen immer mehr. Was ist echt, was ist Erinnerung oder gar Traum? Plötzlich erscheint Johanna selbst vor der Kamera, ein Karpfen schwimmt vorm Fenster, und die aufgerissene, gesellschaftliche Wunde klafft so brutal und gewaltig, daß einem schwindlig wird. „Aber so war’s halt, oder wie man sagt: So wird’s halt gewesen sein.“

D/Österreich 2016, 70 min
FSK 12
Verleih: Eigenverleih

Genre: Experimentalfilm, Drama

Darsteller: Jana McKinnon, Eva Linder, Andrea Schramek

Regie: Sandra Wollner

Kinostart: 10.01.19

[ Claudia Euen ]