Originaltitel: DRII WINTER

CH/D 2022, 137 min
FSK 12
Verleih: Grandfilm

Genre: Drama

Darsteller: Michèle Brand, Simon Wisler, Elin Zgraggen

Regie: Michael Koch

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Drei Winter

Berge, Täler und Tragödien

Marco ist ein Typ, der nur aus Masse zu bestehen scheint. Bei der Arbeit auf der Alm schafft er einiges weg, egal, ob er Steine schleppt, Holzpflöcke einschlägt oder eine Kuh, die von einem schweren Bullen besamt werden soll, in die Ausgangsposition schiebt. Dort oben im Bergdorf, wo das Leben fast nur aus Arbeit besteht, kann er sich andienen, obwohl ihm als Fremden vom „Flachland“ auch Mißtrauen entgegenschlägt. Anna ist sein körperliches Gegenbild, zierlich, mit feinen Gesichtszügen, eine Einheimische. Sie ist im Dorf die Postbotin und arbeitet im Gasthof hinter dem Tresen. Sie hat eine Tochter aus einer früheren Beziehung und ist schon einmal vor der Hochzeit davongelaufen. Doch diesmal zieht sie es durch, trotz aller Bedenken, und wird alsbald vom Leben schwer auf die Probe gestellt.

Es beginnt in Marcos Kopf. Ein Gehirntumor verändert sein Verhalten, macht ihn noch wortkarger als eh schon und unberechenbar. Er kann sexuelle Impulse schlecht kontrollieren, bemitleidet Kühe, die geschlachtet werden sollen, und blickt voller Angst in den Tag. Von Anfang an wird eine Analogie zwischen Mensch und Tier sichtbar. Auch wir sind Wesen der Natur. Das ist der Blick, den Michael Koch auf seine Figuren wirft. DREI WINTER ist ein Liebesdrama in schweizerischer Mundart, doch es nutzt keineswegs die Alpenlandschaft als Kulisse, wie es ein Bollywood-Filmteam tut, das sich einmal in Annas Gasthaus verirrt. Es geht um das Leben mit der oder besser in der Natur, die alltäglich ist, aber eine Herausforderung bleibt. Die Szenen, meist in langen Einstellungen gedreht, entfalten eine dokumentarische Wirkung. Alles ist eingebettet in den Wechsel der Jahreszeiten, begleitet vom Schaffen in den alten Gewerken, wie dem Sensen an steilen Berghängen. Wenn die Heuballen an Draht-seilen ins Tal schießen, fühlt man sich wie in einer Langzeitbeobachtung von Erich Langjahr. Dazu tragen auch die großartigen Laiendarsteller bei, die Koch teils durch jahrelange Recherche gefunden hat.

Um Nostalgie geht es hier aber nicht. Die Bergwelt ist offensichtlich näher an der Natur, näher an den Fragen von Leben und Tod und damit auch näher an der Tragödie. Und so durchbricht Koch immer wieder sein naturalistisches Spiel, um einem griechischen Chor in Form eines Dorf-Gesangsvereines die Bühne freizuräumen. Wir erleben, wie der starke Marco vor der Krankheit in die Knie geht und wie dagegen Anna ihre Kräfte sammelt. Und dann zieht sich mal wieder der Nebel zusammen und verdeckt den Blick ins Tal.

[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...