D/Österreich 2023, 116 min
FSK 12
Verleih: Tobis

Genre: Drama, Literaturverfilmung

Darsteller: Ivan Gustafik, Stefan Gorski, August Zirner, Julia Franz Richter, Marianne Sägebrecht, Robert Stadlober

Regie: Hans Steinbichler

Kinostart: 09.11.23

3 Bewertungen

Ein ganzes Leben

Leinwand – Bergwand – Inwand

Das Gejammer ist schon nicht mehr auszuhalten: Der deutsche Film und sein Kleinklein, sehr gern nur eingesprochen, kaum ausgespielt, notgedrungen schmal im Budget, problemlastig anstatt auch mit voller Lust pompös. Kommt dann einer, der es anders macht, und zwar richtig anders, so wie Hans Steinbichler plus massives österreichisches Backup mit EIN GANZES LEBEN, was, bitte, passiert dann? Der November wird es zeigen. Mal wieder ein November.

Andreas Egger (8), (18-47), (60-80). Die Zahlen stehen echt für das, was sie bedeuten sollen: Lebenszeit. Drei Darsteller braucht es dafür, drei gute dazu, und die hat es. Den Löwenan(mittel)teil stemmt mit Stefan Gorski ein erfrischendes, weitgehend unbekanntes Gesicht, mit Julia Franz Richter gleich noch ein zweites, und doch wird aus der Adaption von Robert Seethalers „Jahrhundertroman“ ein homogenes, von allen Beteiligten getragenes Ensemblestück – wuchtig, zärtlich, fulminant, emotional, bereichernd, jede große Leinwand ausfüllend, mit den Alpen als Sieger des Castings und trotzdem mit der behutsamen Inwändigkeit prägnanter Charaktere.

Andreas (8), das fremde Kind am Hofe von Franz Kranzstocker, der wirklich den Stock auspackt, um diesen ungeliebten Burschen gegen ein paar Taler bei sich zu erdulden – ihn aufzunehmen, wäre zu viel der Behauptung. Ein Hinken wird Andreas für EIN GANZES LEBEN bleiben von der Kinderzeit. Und die Erinnerung an einen ersten gütigen Menschen: Ahnl, die Amme.

Andreas (18-47) wird sich behaupten, hart arbeiten, wird dabeisein, wie die erste Seilbahn in den Stein gewuchtet wird, die erste und einzige Liebe entflammt, die zur Marie, die ihm beim Wirt das Bier bringt und seinen fackelnden Heiratsantrag unbedingt wert ist. Doch zu leben heißt für Andreas fortan vor allem auch zu ertragen. Dort am Berg gibt es kein Orchester, dort gibt es auf der Naturbühne nur Solisten.

Krieg, Gefangenschaft, Heimkehr, Einkehr, Autos, Touristen – Andreas (60-80) wird von seinem gewählten oder, wer weiß, vorbestimmten Leben nicht lassen. Als ihm der Kopf auf die Tischplatte schlägt, hat ihm mehr als die letzte Stunde geschlagen.

Zwei Stunden genügen für acht Jahrzehnte. Es ist literarisches und zugleich emanzipiertes Kino, reich gefüllt mit Tableaus und einer zutiefst humanistischen Erzählung. Das mit dem Grau des Novembers und wie ein dunkler Saal die Seele erhellen kann, das lassen wir mal.

[ Andreas Körner ]