Originaltitel: IO NON HO PAURA

I/GB/Spanien 2002, 109 min
Verleih: Kinowelt

Genre: Drama, Erwachsenwerden, Literaturverfilmung

Darsteller: Giuseppe Cristiano, Dino Abbrescia, Aitana Sánchez-Gijnd

Regie: Gabriele Salvatores

Kinostart: 18.12.03

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Ich habe keine Angst

Kraftvoll-poetisches Ausnahmekino über den Mut eines Jungen

Von Zeit zu Zeit werden sie uns geschenkt, Filme, die mehr sind, als nur die Projektion aufgezeichneter Bilder. Der Kinosaal wird dunkel, der Vorhang öffnet sich surrend. Eine Geschichte wird geboren, mit berauschenden Farben, grimmigen Tönen. Wir erahnen einen Jahrhundertsommer, spüren förmlich die alles versengende Dürre. Und dann kriecht eine Emotion in uns herauf, arbeitet sich durch die Venen. Es ist jenes Gefühl, welches uns angesichts einer Ungerechtigkeit packt. Wenn wir eingreifen wollen, aber es nicht können.

In Gabriele Salvatores’ ICH HABE KEINE ANGST kommt der 9jährige Michele einem himmelschreienden Verbrechen auf die Spur, einer derart finsteren Tat, daß er nicht wagt, jemandem davon zu erzählen. Unweit seines winzigen Heimatdorfes Aqua Traverse im italienischen Apulien entdeckt er ein Erdloch und darin einen verwahrlosten Jungen. So alt wie er selbst, mit verfilztem Haar, verklebten Augen und seltsamen Visionen. Wer würde so etwas Abscheuliches tun, ein Kind im Finstern gefangen halten, wie ein Tier? Michele kann es sich nicht erklären, doch ein wacher Blick und sein Mitgefühl bringen ihn der Wahrheit näher. Er versorgt den Jungen mit Wasser und Brot, behält die wenigen Erwachsenen des Dorfes im Auge. Mit großer Aufmerksamkeit verfolgen diese gemeinsam die Nachrichten. Es wird von der Entführung eines Industriellensohnes berichtet. Schließlich taucht Sergio auf, ein Koloß mit Pistole und unberechenbarem Gemüt. Michele ist als Einziger bereit, ein Verbrechen aufzuhalten und sich für das Leben eines unschuldigen Wesens einzusetzen. Auch wenn sein eigenes dabei in Gefahr gerät.

Auf der Berlinale 2003 stellte Regisseur Salvatores seine Verfilmung von Niccolò Ammanitis Roman "Die Herren des Hügels" einem beeindruckten Publikum vor. Großes Kino aus Italien? Klar gibt es Roberto Benigni und den ein oder anderen Arthouse-Erfolg. Man denke nur an DIE AHNUNGSLOSEN und BROT UND TUL-PEN. Der Name des Regisseurs war manchem bekannt, gewann Salvatores 1992 doch einen Oscar für MEDITERRANEO und schickte Christopher Lambert 1996 ins NIRVANA.

Und nun schenkt er uns ICH HABE KEINE ANGST, eine Fabel, die nicht kalt lassen kann und in atemberaubend schönen Bildern erzählt wird. Fast unmerklich wurde die Kamera auf kindliche Augenhöhe gesenkt. Sie jagt durch satte Kornfelder, schmeichelt der rissigen Erde und verliert sich im azurnen Himmel. Sie verfolgt Michele, wenn er sich ratlos und wütend gegen die korrupte Erwachsenenwelt stemmt.

Wenn Gier und Neid plötzlich stärker werden als Moral, wenn gar Menschenleben unwichtig sind, kann der Mut eines Einzelnen viel bewirken. Diesen Helden spielt Giuseppe Cristiano mit solcher Inbrunst, daß man ihm im Kampf gegen die Entführer zur Seite stehen will. So sind Geschichten, die erzählt werden müssen. Und wenn dies mit solcher Kraft und Poesie geschieht, entsteht magisches Kino.

[ Roman Klink ]