Originaltitel: THE WHITE CROW

GB/F/Serbien/Rußland 2018, 127 min
FSK 6
Verleih: Alamode

Genre: Drama, Biographie

Darsteller: Oleg Ivenko, Adèle Exachopoulos, Ralph Fiennes, Louis Hofmann

Regie: Ralph Fiennes

Kinostart: 26.09.19

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Nurejew – The White Crow

Narziß in Ost-West-Liebesgeschichte

delt. Vielleicht liegt es an dem Gefühl, daß sich auch heute die politische Weltlage zuspitzt. Filme wie NIEMANDSLAND von James Kent oder natürlich Pawel Pawlikowskis COLD WAR – DER BREITENGRAD DER LIEBE erschließen sich durch subjektive Perspektiven das Reich der emotionalen Zwischentöne und verknüpfen Motive des Agententhrillers mit Liebesgeschichten und Künstlerdramen. Genau das tut auch Ralph Fiennes in seiner dritten Regiearbeit – mit einigen Eigenheiten.

Mit einem Film über einen der größten Tänzer des letzten Jahrhunderts, Rudolf Nurejew, ergreift Fiennes zunächst mal die Gelegenheit, historische Choreographien für die große Leinwand zu adaptieren. Und er bezieht sich relativ treu auf die Biographie des manischen Tänzers, die bereits so wirkt, als hätte sie jemand für das Kino erdacht. Da ist die Geschichte eines Jungen aus Sibirien, der in bitterarmen Verhältnissen aufwächst und es dank seines eigenen Willens in das Petersburger Kirow-Ballett schafft, um schließlich zu Weltruhm zu gelangen. Und da ist dieses Jahr 1961, das in Nurejews Leben präzise die Wetterscheide zwischen Ost und West markiert. Während eines mehrwöchigen Gastspiels des Ensembles schnuppert er Pariser Luft, erlaubt sich immer mehr Freiheiten und fordert damit die sowjetischen Agenten heraus. Bis der Bogen überspannt ist. Folgerichtig legt der Film im Jahr 1961 die Haupthandlung an, während er in Rückblicken Nurejews Kindheit (in eher symbolischen Schwarz-Weiß-Bildern) und die Jahre seiner Ausbildung erzählt.

Ungewöhnlich ist auch die Besetzung. Fiennes hat sich für einen Balletttänzer ohne Schauspielerfahrung entschieden. Aber der ukrainische Tänzer Oleg Ivenko hat genau das, was auch Nurejews Wirkung auf der Bühne ausmachte und seine große Wirkung auf Menschen: Sex-Appeal. Sonst würde der Film auch nicht funktionieren. Ivenkos Leinwandpräsenz trägt sogar über teils verwirrend verschachtelte Rückblicke hinweg. Fiennes mutiert zu einem doppelten Mentor: für Ivenko hinter der Kamera, für Nurejew vor der Kamera. Er selbst spielt den systemmüden Ballettmeister Alexander Puschkin. Übrigens lohnt es sich schon deshalb, den Film in OmU zu sehen, um Fiennes russisch sprechen zu hören.

Und dann verzichtet der Film auf eine klassische Liebesgeschichte. Zwar gibt es die junge Chilenin Clara Saint, mit der Nurejew das Pariser Nachtleben erkundet. Doch das Verhältnis zwischen beiden bleibt so blaß wie Adèle Exachopoulos’ Rolle. Daneben gibt es das Verhältnis, das Frau Puschkin ihm aufzwingt. Aber hier geht es eher um die fließende Grenze zwischen Verführung und sexuellem Mißbrauch. Und doch gibt es eine große Liebesgeschichte. Es ist die Liebe Nurejews zu sich selbst, die alle Grenzen sprengt. Seine Arroganz und seinen cholerischen Charakter stellt der Film konsequent nach vorn, ohne das zu kompensieren. Wir müssen ihn nicht mögen und doch bewundern.

In seiner psychologischen Dimension eröffnet der Film den größten Interpretationsraum. Unter den vielen Vaterfiguren befindet sich auch ein smarter KGB-Agent. Vater Staat kämpft um den verlorenen Sohn. Und der Sohn um seine Freiheit. Für einige Strukturschwächen im Film werden wir am Ende belohnt durch eines der spannendsten Finale seit langem.

[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...