D/Österreich/F 2018, 116 min
FSK 0
Verleih: Prokino

Genre: Biographie, Drama

Darsteller: Marie Bäumer, Birgit Minichmayr, Robert Gwisdek, Charly Hübner, Denis Lavant

Regie: Emily Atef

Kinostart: 12.04.18

37 Bewertungen

3 Tage in Quiberon

Ein herzpochender Wiedergang, eine unfaßbare Anverwandlung, das Kinoereignis des Jahres!

In den frühen 80ern zeigte das Zweite DDR-Fernsehen mittwochs um 19.00 Uhr mit der Reihe „Filme mit ...“ kontinuierlich einen Ausschnitt aus dem Schaffen ganz großer Schauspieler. Einmal war natürlich jene Frau dran, die mit Filmen wie DAS MÄDCHEN UND DER KOMMISSAR, DIE DINGE DES LEBENS, DAS ALTE GEWEHR und DIE SPAZIERGÄNGERIN VON SANS-SOUCI zu einer der größten Schauspielerinnen ihrer Zeit und schließlich der Filmgeschichte wurde. Ein Junge von vielleicht zehn Jahren durfte länger als üblich aufbleiben und schaute gebannt auf den kleinen Schwarzweißschirm. Entrückt, fragend, kaum verstehend, was er sah, und doch davon regelrecht verzaubert. Dieses Spiel, diese Mimik, diese Schönheit, dieser Wagemut, diese Grenzenlosigkeit, diese Sommerstirn und dieser Schmelz in der Stimme. Der Junge verfiel dem Star. Und die Nachricht vom Tode dieser wohl mit keiner zu vergleichenden Schauspielerin traf tief, der Junge meinte ernsthaft und traurig zu seiner Mama: „Diese Schauspielerin hätte ich gern im Kino gesehen, ich wäre ihr zu gern begegnet. Auch wenn ich kein Wort herausbekommen hätte ...“

Die Frau heißt Romy Schneider, der Junge von damals bin ich. So viel Privates sei erlaubt, denn: Ein Wunsch des Jungen von damals sollte sich erfüllen. Ich durfte 2018 Romy Schneider im Kino sehen, irgendwie zumindest. Denn das, was Emily Atef mit 3 TAGE IN QUIBERON gelungen ist, ist ein ganz großer Wurf! Ach was, großer Wurf, es geschieht eine komplette Verzauberung, ein Lebensereignis für den Kinozuschauer, weil er Zeuge eines unglaublichen Wiedergangs wird. Marie Bäumer wird zu Romy Schneider! Genau, sie spielt sie nicht einfach nur, sie verfängt sich nicht in hohlen Posen, sie wird zum Weltstar! Atef und ihr Kameramann Thomas Kiennast kosten das Spiel der Ikonographie wohltuend kurz aus, atemstockend daher schon der Auftakt, dieses knappe Anreißen und kurze Anschneiden des Profils, bis man sie erkennt – Romy Schneider!

Erzählt wird aus dem letzten Lebensjahr Schneiders, als sie in körperlich und seelisch schlechter Verfassung einen Bretagne-Aufenthalt dafür nutzt, um dem „Stern“ eines ihrer seltenen Interviews zu gewähren, vor allem, weil ein enger Freund, der Fotograf Robert Lebeck, die Bilder dazu liefern soll. Die Gespräche werden zu einer Tour de force für die komplett zerrissene, an sich und dem Leben zweifelnde Schauspielerin, die sich in kindlicher Kühnheit einem Interview stellt, das eher inquisitorischen Verhörcharakter hat. Im Zuge dieses Interviews zeigt sich Schneider in ihrer ganzen Ambivalenz: dieses Zögernde ob der teils boshaften, verletzenden Fragen und doch auch diese Lust am Zurückfeuern, das Mädchenhafte und das Kriegerische, das Manierierte und diese komplette Unverstelltheit! Schneiders Transparenz stellt der Interviewer fast schon boshaft in seine Dienste.

Es geht einem das Herz auf, wenn Schneider lacht, sich auf den Boden wirft, dann hofft man kurz, daß sie in der Zeit vielleicht doch nicht ganz so kaputt war. Trügerisch! Ebenso das verführerische Bangen, wenn es doch vom Schlag der anwesenden Freundin Hilde nur ein paar Menschen mehr im Leben Schneiders gegeben hätte, vielleicht wäre, hätte, könnte sie ... Traurige Hypothesen, denn Hilde selbst ist ehrlich genug: „Es ist nicht einfach, Romys Freund zu sein ...“ Romy Schneider faßte schon schnell Vertrauen, sie muß von einer unfaßbaren Großzügigkeit gewesen sein, doch in dieser Zerrissenheit, diesem angeschossenen Selbstverständnis als Mensch und als Mutter – sie bringt es partout nicht fertig, einen langerwarteten Anruf ihres geliebten Sohnes David entgegenzunehmen – hatte eine Freundschaft wie die zwischen Hilde und Romy eben auch etwas Blutsaugendes.

Marie Bäumer spielt Schneider verletzt und impulsiv, naiv und intelligent, besonnen und furchtlos, generös und zerstörerisch. Man kriegt, zumal als Anhänger Schneiders, den Mund kaum zu, wie sie dieses Hadern und Zweifeln, diese Unruhen und Grenzgänge umsetzt, wie schön sie ist sowieso, und man bewundert, wie Atef und Kiennast legendäre Fotos von Lebeck in Filmszenen wandeln. Die Entscheidung, in Schwarzweiß zu drehen, ist klug zu nennen, nicht nur wegen der Fotographien Lebecks, ein gutes Jahr vor dem Tod Romy Schneiders, kurz vor einer anstehenden Nierenoperation und nur wenige Wochen vor der wohl größten Katastrophe im Privaten, dem Unfalltod ihres erst 14jährigen Sohnes David, sind die Farben bereits aus dem Leben der einzigartigen Künstlerin gewichen.

Es ist zu lesen, daß Marie Bäumer sich lange weigerte, Romy Schneider zu spielen, was man ihr sehr gut nachempfinden möchte. Die rein äußerliche Ähnlichkeit ist von Vorteil, klar, nützt aber wenig, wenn das Drehbuch oder der Ansatz einer möglichen Geschichte einfach nicht mehr als nur Schablonen hergeben. Bäumer hat in Klugheit gewartet, und so entstand der schauderhafte Fernsehfilm ROMY eben ohne sie, dafür mit einer nur zu bedauernden Jessica Schwarz in der Titelrolle. Überhaupt sind Zweifel am Ansinnen derartig biographischer Filme berechtigt, man denke nur an die blasse Ausstattungsmanie von MARLENE und das kreuzbiedere Porträt HILDE!

3 TAGE IN QUIBERON hingegen überzeugt uneingeschränkt, es ist ein schonungsloser, dabei ungemein zärtlicher und würdevoller Film geworden. Selten wurde im Kino so intensiv von Einsamkeit, Angst und der Fragilität eines Lebens erzählt, und auch wenn Atef klugerweise ein gesundes Maß an Distanz bewahrt, spürt man ihrem Film an, daß er durchaus Liebeserklärung und Trauerbekundung zugleich ist. Und dem nicht mehr so kleinen Jungen von damals wird mit diesem Geschenk von einem Film einmal mehr bewußt, daß er damals in seiner Fasziniertheit schon richtig lag.

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.