D 2018, 128 min
FSK 0
Verleih: Pandora

Genre: Biographie, Tragikomödie

Darsteller: Alexander Scheer, Anna Unterberger, Axel Prahl, Thorsten Merten, Milan Peschel, Bjarne Mädel, Peter Sodann

Regie: Andreas Dresen

Kinostart: 23.08.18

31 Bewertungen

Gundermann

Feeling O – Baggern in der ostdeutschen Mentalitätsgeschichte

Wem die DDR als in Voll- oder Teilzeit durchschrittener Erfahrungsraum mit all seinen kleinen Fluchten und großen Beschränkungen, seinen Entweder-Oders und Sowohl-als-Auchs durch die eigene Biographie geistert, der hat wahrscheinlich ein Verhältnis zu Gerhard „Gundi“ Gundermann. Und wem das entfallen sein sollte – vielleicht, weil der sogenannte „Ostrock“ grundsätzlich im Verdacht stand, realsozialistische Kittelschürzen systemkonform aufzubügeln, vielleicht, weil der Soundtrack zu den Wendejahren von David Hasselhoff kam und alles Liedgut der „Täterätä“, ob nun mit oder ohne subversiven Anhauch, quasi nullifizierte –, der wird in Andreas Dresens Spielfilmporträt nach Noten und Notaten daran erinnert.

Spielfilm. Richtig gelesen. Und selbst wenn Dresens Hauptdarsteller Alexander Scheer „spielend“ jeden Lookalike-Contest mit dem titelgebenden Dichter, Sänger, Baggerfahrer, Hier-Bleiber und Sich-Weg-Träumer gewonnen haben dürfte, vom Widerspruch in den Augen bis zum Dialekt (mitsamt der DDR-spezifischen Dialektik): Der Filmemacher, dem man für alle seine Arbeiten etwas Dokumentarisches bescheinigt und damit eigentlich das vielbemühte „Authentische“ meint, macht nicht, was man in diesem Fall für geboten halten könnte – einen Dokumentarfilm. Warum? Material genug wäre vorhanden: Konzertmitschnitte, Interviews, die Stasi-Akte. Aber Dresen mag alles sein, nur eben kein Materialverwerter.

Er „macht“ sein Material selbst: aus fremden oder eigenen Büchern, aus dem Gedächtnis oder aus dem Bauch. Der bei ihm klüger ist, als bei anderen der Kopf. Er erzählt, so altmodisch wie entwaffnend, nichts als Geschichten. Sie bestehen in der Regel den in Mode gekommenen Faktencheck. Der hat bei Dresen immer etwas mit dem Glaubbaren zu tun und gleichzeitig viel mit dem Staunen über die Exotik, die in diesen vor Alltag strotzenden Filmwelten wohnt, und zwar, ganz normal, zur Miete. HALBE TREPPE (2002) kann immer noch als Paradebeispiel für diesen besonderen Wirklichkeitszugriff gelten. In GUNDERMANN, obgleich als „historisch verbürgter Stoff“ ein Novum für den Regisseur, bleibt sich Dresen darin treu.

„Sein“ Gundermann ist eine Art fragiles ostdeutsches „Wir.“ Nicht als maßlose kollektive Vereinnahmung, sondern als individuelle Quersumme aus gesellschaftlichen und privaten Verhältnissen, aus Tagebau und Bühne, aus Nikki, Jeans und Knusperflocken, aus Prolet und Poet, aus Familienmensch und egoistischem Selbstverwirklicher – eine permanente Ausnahme, vor wie nach der Wende. „Sein“ Gundermann ist keine biographisch wachsende Konstante „von bis“, sondern eine Konfrontation. Der 70er-Jahre-Jung-DDRler trifft den notorisch zu spät kommenden Linken der wiedervereinigten 90er. Der sprichwörtliche „neue Mensch“ nach sozialistischem Bauplan, aufrechter und zupackender, als seine Konstrukteure sich das vorgestellt hatten, trifft auf den enttarnten Stasi-Spitzel, der bespitzelt wurde. Alles im selben Menschen.

Den erklärt Dresen dann kurzerhand zu einem Hamlet-Nachfahren, wie ihn wohl nur der Osten, vielleicht nur die Lausitz und möglicherweise ausschließlich Hoyerswerda hervorbringen konnte. Ist das komisch? Nein. Nur heiter, nur komplex und in alledem so zärtlich wie möglich. GUNDERMANN, Porträt eines Mannes unter den Bedingungen einer (politischen) Landschaft, umkreist auch das ohne Humor schlicht nicht aushaltbare „Feeling O“: analytisch, aufmerksam, zugewandt.

[ Sylvia Görke ]