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Memelland

Poetische Wiederkehr – Volker Koepp auf neuer Reise

Nahe liegt es, auch diesmal von der Affinität des großen Dokumentaristen Volker Koepp zur Region des ehemaligen Ostpreußen zu schreiben, von den in die Landschaft eingeschriebenen Geschichten, die auch seine anderen Filme stets entdecken und immer mit der Einladung an den Zuschauer verbinden, sie selbst weiterzuerzählen. KALTE HEIMAT (1995), KURISCHE NEHRUNG (2001) und zuletzt HOLUNDERBLÜTE (2007) – nach der Kaliningrader Exklave ist es die Grenzregion des litauischen Ufers der Memel, die Koepp filmisch erkundet.

Auch diesmal skizziert ein beinahe spröder Kommentar geografische und historische Gegebenheiten, einmal mehr sind es die sorgfältig kadrierten Bilder der Kamera Thomas Plenerts, insbesondere die Panoramen, die einen weiten Raum aufspannen für die Mitarbeit am großen Thema, dem Nachdenken und Nachspüren der Beziehung zwischen Landschaft und Menschen. Drei betagte Schwestern, die noch selbst ihren Hof bewirtschaften und zu den wenigen Deutschen gehören, die nach 1945 geblieben sind, erzählen, weswegen sie damals nicht fort konnten, und warum sie bis heute geblieben sind. Ein alter Ornithologe möchte, daß der Blick der Kamera dem seinen folgt – auf Himmel und Vögel. Ein Jüngerer ist stolz auf die Anzahl seiner Beringungen und wissenschaftliche Erkenntnisse. Ein junges Pärchen, der Stadt entfliehend, baut ein Hotel aus hundertjährigen Ziegeln, und eine junge BWL-Studentin träumt vom Tourismusgeschäft und will das Glück finden.

Wie gewohnt begegnet Koepp seinen Protagonisten mit unaufdringlicher Ausdauer. Die Interviewszenen sind zuweilen wortkarg; die Beredtsamkeit des Films liegt aber auch diesmal im Zusammenspiel aller Elemente. Wenn Koepp etwa im Off frühere deutschen Städtenamen wie Heydekrug (Siluté) spricht, evoziert das Vergangenheit, im nächsten Moment aber wird diese lebendig – in der bruchstückhaften Erzählung der drei alten Frauen etwa oder in der Beobachtung ihres bäuerlichen Alltags. Sprachbilder wie der „Fluß der Zeit“ werden hier anschaulich.

Mit dem eingefügten Archivmaterial seines Kurzfilms GRÜSSE AUS SARMATIEN (1973) bekennt sich Koepp zudem als Wiederkehrer, als unermüdlicher Erinnerungsarbeiter, dessen Spuren nun – 36 Jahre später – selbst sichtbar sind in den Zeitverläufen, die er dokumentiert. Zu danken ist ihm ein leiser, poetischer und doch zwingender Stil. Wieviel Verlust im Überfluß liegt, ist nur eine seiner derart überbrachten Botschaften.

D 2008, 88 min
Verleih: Salzgeber

Genre: Dokumentation

Regie: Volker Koepp

Kinostart: 15.10.09

[ Jane Wegewitz ] Für Jane ist das Kino ein Ort der Ideen, ein Haus der Filmkunst, die in „Licht-Schrift“ von solchen schreibt. Früh lehrten sie dies Arbeiten von Georges Méliès, Friedrich W. Murnau, Marcel Duchamp und Man Ray, Henri-Georges Clouzot, Jean-Luc Godard, Sidney Lumet, Andrei A. Tarkowski, Ingmar Bergman, Sergio Leone, Rainer W. Fassbinder, Margarethe v. Trotta, Aki Kaurismäki und Helke Misselwitz. Letzte nachhaltige Kinoerlebnisse verdankt Jane Gus Van Sant, Jim Jarmusch, Jeff Nichols, Ulrich Seidl, James Benning, Béla Tarr, Volker Koepp, Hubert Sauper, Nikolaus Geyrhalter, Thierry Michel, Christian Petzold und Kim Ki-duk.