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Operation Duval – Das Geheimprotokoll

Kafka, offenes Messer

Immerhin steht das Wörtchen „kafkaesk“ schon seit 1973 im Duden. Es klingt nicht nur gut, viel besser jedenfalls als „brechtiös“, sondern taugt wirklich als Adjektiv für die Umschreibung des Unheimlichen und Bedrohlichen, kombiniert mit exzessiven Spielchen der Macht. Kafkaeske Szenerien erscheinen sehr gern in Büchern, Bühnen- und Musikstücken, in Filmen sowieso. Echte Kafka-Adaptionen gab es in relativ jüngster Zeit einige, von Michael Hanekes DAS SCHLOSS bis Jochen Alexander Freydanks DER BAU. Und wüßte man nicht von Regisseur und Drehbuchautor Thomas Kruithof, daß sich sein prickelnder Thriller OPERATION DUVAL – DAS GEHEIMPROTOKOLL lose auf Franz Kafkas Novelle „Der Prozeß“ bezieht, müßte man ihm diese besonderen kafkaesken Züge glatt unterschieben. Das Messer jedenfalls ist in diese Richtung ausgeklappt.

Denn auch Buchhalter Duval paßt ins Universum der ausgebremsten, mysteriös gestrauchelten und von äußeren Zu- und Umständen gefangenen Männer hinein. Zwei Jahre sind nach dem Ende seines letzten Jobs vergangen. Es war ein Fiasko. Zu schrecklich vielen Zahlen und offenen Rechnungen gesellte sich zu stark bemessener Alkohol. Nächtelang hatte Duval Akten und Ordner gewälzt, Anrufbeantwortern Fragen gestellt, das Chaos bekämpft. Statt sein Büro abzufackeln, überkam ihn selbst der Burn-Out. Jetzt ist Duval seit zwölf Monaten arbeitslos, aber trocken. Eine güldene Medaille vom Leiter der Gruppe Anonymer Alkoholiker ist Bestätigung und Anerkennung zugleich. Er darf Sara, einer neuen „Nassen“, sogar als Notnummer, also offizieller Ansprechpartner, dienen.

Nur das mit einer bezahlten Tätigkeit will sich für ihn nicht erfüllen. Bis der Mittfünfziger einen alten Bekannten trifft, der wiederum einen anderen kennt. Was wie eine flüchtige Begegnung am Rande einer Beerdigung aussieht, entpuppt sich als zukunftsweisend, wenngleich diese Zukunft alles andere als rosig wird. Der Job, der Duval telefonisch offeriert wird, hat anfangs eine gewisse Nähe zu seinem alten. Präzision ist gefragt, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Geheimhaltung auch. Duval wird angenommen. 1500 Euro pro Woche sind ein angemessenes Salär, Duval hätte wohl auch die Hälfte genommen.

Täglich von 9 morgens bis 6 abends sitzt er fortan allein in einer leer geräumten Block-Wohnung und erfaßt Abhörkassetten. Arbeitsanweisungen kommen per Strippe oder schriftlich. Rauchen ist verboten, der Vorhang geschlossen. „Sind Sie ein Patriot?“, wurde Duval beim Einstellungsgespräch gefragt. Und ob es ihm etwas ausmache, mit Papier und Schreibmaschine zu arbeiten. Die Antwort lautete erwartungsgemäß in beiden Fällen: nein!

OPERATION DUVAL – DAS GEHEIMPROTOKOLL spielt nicht in der Zukunft, sondern im erkennbar zeitgenössischen Frankreich. Eine Präsidentenwahl steht an, drei französische Geiseln werden im Ausland festgehalten und zum Spielball des Kandidatenwettkampfs. Das ist nie zu sehen, nur zu hören. Der Kinogänger hat Duvals Ohren. Und wo dieser doch lange Zeit glaubt, fürs Verteidigungsministerium zu arbeiten, muß er trotzdem erfahren, daß die Schlingen um seine Füße und seinen Hals schon ausliegen. Wenn er seine Haut retten will, muß er aktiv werden. Es ist ihm gar nicht zuzutrauen.

Regisseur Kruithof entwickelt aus dem Stoff einen minimalistischen, mätzchenfreien, hochspannenden Thriller – extrem präzise fotografiert, von François Cluzet ebenso gespielt. Kafkaesk eben …

Originaltitel: LA MÉCANIQUE DE L’OMBRE

F/Belgien 2016, 91 min
FSK 12
Verleih: Temperclay

Genre: Polit, Thriller

Darsteller: François Cluzet, Denis Podalydès, Sami Bouajila, Alba Rohrwacher

Regie: Thomas Kruithof

Kinostart: 23.11.17

[ Andreas Körner ]