Originaltitel: THE RIDER

USA 2017, 104 min
FSK 12
Verleih: Weltkino

Genre: Drama

Darsteller: Brady Jandreau, Tim Jandreau, Lily Jandreau, Lane Scott

Regie: Chloé Zhao

Kinostart: 21.06.18

8 Bewertungen

The Rider

Wundbrand überall

Ein junger Mann mit Stetson, ein Pferd sowie untrüglich US-amerikanische Landschaft als Plakatmotiv reichen einigen Kinogängern in diesem Land tatsächlich aus – um dem Film fernzubleiben. Andere kommen gerade deshalb, weil sie dahinter den nächsten astreinen Western vermuten. Zwei fatale Irrtümer. Was die einen verpassen, werden die anderen also goutieren. Dabei geht es vor allem ums Verpassen. Diejenigen, die THE RIDER gottlob auf die Leinwand bringen, werden damit leben müssen.

Brady Blackburns Faust ballt sich von selbst. Der junge Mann wurde von einem Pferd getreten. Von seinem Pferd. Was an körperlichen Schäden geblieben ist, sind eine Metallplatte im Kopf, eine riesige geklammerte Wunde und später diese unkontrollierten Reflexe in der Hand. Bradys Faust ballt sich durchaus auch im übertragenen Sinne, denn seine Identität hat schwer gelitten. So sehr, daß Brady sich am liebsten den Gnadenschuß setzen würde, statt in Teilzeit im Supermarkt zu jobben. Nur als Rodeoreiter und Pferdetrainer war er anerkannt genug, um würdevoll durch den ärmlichen Alltag im Lakota-Sioux-Reservat zu gehen. Aufrechter jedenfalls als sein Vater, der nicht minder gut mit Tieren kann, besser noch mit Alkohol, viel weniger aber mit Menschen.

Bradys autistische Schwester, die für immer 14 bleiben will, fragt so klar und direkt, wie es ihr gegeben ist: „Keine bockenden Pferde mehr?“ Und der Bruder sagt: „Vielleicht.“ Mit Freunden sitzt er am Feuer, und sie erzählen sich von den Huftritten ihrer Karriere. Brady besucht seinen besten Freund Lane, den ein Unfall in den Rollstuhl brachte und die Sprache kostete. Ihre gemeinsamen Szenen treiben einem die Tränen in die Augen. Unweigerlich, unaufhaltbar. Was für eine tragische Wärme dringt aus diesen Bildern! Wärme ist es, die THE RIDER trägt, zärtlich hebt und senkt und ausbalanciert. Die Bilder! Der Ton! Schmerz dringt hier durch wie das Hoffen, Brady würde nach dem Ignorieren des Ärzterates auf dem Rücken eines Pferdes noch einmal neu durchstarten können, und sei es nur mit Flüstern.

Wüßte man nicht, daß Regisseurin Chloé Zhao, wie schon für ihr Debüt SONGS MY BROTHER TAUGHT ME, im Pine Ridge Reservat mit echten Menschen hinter ihren Lebensrollen gearbeitet hat, müßte man noch einmal neu über Authentizität im Spielfilm reden. Ein weiteres Kapitel von Menschen und Pferden ist aufgeschlagen. Und bitte, nennt es nicht Anti-Western!

[ Andreas Körner ]