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Wie Licht schmeckt

Kleiner Film, große Ambitionen

Zu seinem 14. Geburtstag wünscht sich Lukas, der in einem Münchener Vorort wohnt, drei Tage allein in die Stadt zu dürfen. Die Eltern verbieten den Ausflug, aber Lukas erfüllt sich diesen Wunsch selbst. Heimlich verläßt er das Haus und läßt sich inmitten des pulsierenden Lebens in der bayerischen Metropole treiben. Ziellos und staunend durchwandert er die Straßen der Stadt bis er auf die 17jährige Sonja trifft. Die Begegnung mit dem Mädchen, Sonja ist blind, nimmt ihn so gefangen, daß er ihr folgt und sich schließlich in sie verliebt. Die Beziehung zwischen den beiden gestaltet sich schwierig, aber Lukas’ Wunsch, seine erste große Liebe nicht wieder zu verlieren, entdeckt ihm schließlich eine neue Sicht auf die Welt ...

Maurus von Scheidt erzählt in seinem Langfilmdebüt die Geschichte eines sensiblen Außenseiters, der sich der Enge des elterlichen Hauses entzieht, um das Leben zu entdecken. Sein Hauptdarsteller Leo Zirner verkörpert glaubhaft Charakter und Geschicke des jugendlichen Helden. Seine Umsetzung der Rolle zeugt von einer großen Ernsthaftigkeit und von der Fähigkeit zu kleinen Nuancen im Spiel. Ob es das fehlende Vertrauen in dieses Können oder auf eine stringente Erzählweise ist, der Regisseur bedient sich verschiedener Kunstgriffe bei der Inszenierung.

Die Gedankenwelt von Lukas, seine möglichen, aber unterdrückten Reaktionen versucht von Scheidt auf einer zweiten Ebene ins Licht zu rücken, und auch die Tonspur unterbricht er immer wieder, der Film verharrt in Stille. Um das Publikumsinteresse wach zu halten und um die innere Anspannung und die Zweifel des Jungen zu illustrieren, hätte es dieser Mittel nicht bedurft. Wovon diese den Blick vielleicht wegführen sollen, das sind die Schwächen des Films. Die Dialoge wollen philosophisch sein, sind dabei aber moralisierend oder befremdlich hölzern und drastisch. Die Charakterisierung der Nebenfiguren bedient sich plumper Klischees, und den Lücken in der Dramaturgie wird mit allerhand Zufällen zur Seite gesprungen. "Hell wie der lichte Tag" verkündet eine OSRAM-Lichtwerbung in einer Szene des Films, und gemeint sein könnte das Potential einer guten Idee.

Die filmische Umsetzung aber ergibt sich allzu großen, unerfüllten Ambitionen seitens der Regie. Dies bleibt die unübersehbare Schwäche eines kleinen Filmes, an dessen Ende die Hauptfigur die Augen geschlossen hat und wissen wird, wie Licht schmeckt.

D 2005, 87 min
Verleih: Movienet

Genre: Erwachsenwerden, Drama

Darsteller: Leo Zirner, Anya Deubel, Sarah Franke

Regie: Maurus von Scheidt

[ Jane Wegewitz ] Für Jane ist das Kino ein Ort der Ideen, ein Haus der Filmkunst, die in „Licht-Schrift“ von solchen schreibt. Früh lehrten sie dies Arbeiten von Georges Méliès, Friedrich W. Murnau, Marcel Duchamp und Man Ray, Henri-Georges Clouzot, Jean-Luc Godard, Sidney Lumet, Andrei A. Tarkowski, Ingmar Bergman, Sergio Leone, Rainer W. Fassbinder, Margarethe v. Trotta, Aki Kaurismäki und Helke Misselwitz. Letzte nachhaltige Kinoerlebnisse verdankt Jane Gus Van Sant, Jim Jarmusch, Jeff Nichols, Ulrich Seidl, James Benning, Béla Tarr, Volker Koepp, Hubert Sauper, Nikolaus Geyrhalter, Thierry Michel, Christian Petzold und Kim Ki-duk.