D/Rumänien 2022, 93 min
Verleih: Eksystent

Genre: Satire

Darsteller: Ioana Iacob, Pola Geiger, Jörg Schüttauf

Regie: Natalia Sinelnikova

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Wir könnten genauso gut tot sein

Schreckliche heile Welt

So schnell kommt sie aus dem Badezimmer nicht mehr raus. Nachdem der Hund des Nachbarn verschwunden ist, gibt sich die 16jährige Iris die Schuld daran. Ihr böser Blick soll der Ursprung allen Übels sein, jetzt hat sie sich zur Selbstbestrafung eingesperrt. Iris hat offenbar schon in jungen Jahren verstanden, daß für Andersartigkeit kein Platz in der Gemeinschaft ist, in der sie gemeinsam mit ihrer Mutter Anna lebt. Zu groß ist die Angst davor, den streng geordneten Lauf der Dinge aus dem Lot zu bringen.

Iris und Anna leben in einem Hochhaus mitten im Nirgendwo, wo sich eine elitäre Parallelgesellschaft verschanzt. Gleich zu Beginn hastet eine Familie zu dem Grundstück, um Teil dieses hermetisch abgeriegelten Mikrokosmos’ zu werden, doch leicht wird es Fremden nicht gemacht. Anna ist die Sicherheitsbeauftragte im Haus, überprüft Neuankömmlinge und versucht, die friedvolle Ordnung zu wahren. Nichtsahnend, daß sie selbst bald für deren Zerfall mitverantwortlich sein wird.

Fließend sind die Übergänge zwischen Mehrheitsgesellschaft und totalitärem Regime, Normierung und Gewalt, die die Regisseurin Natalia Sinelnikova entlarvt. Zunächst ist es nur die Frage, wer hineinpaßt in dieses geschlossene System, wer dazugehören darf. Später sucht man Sündenböcke, um der angestauten Wut in der Bilderbuchgemeinschaft freien Lauf zu lassen. Angeblich Selbstschutz, für das Gemeinwohl. Jeder banale Vorfall befeuert die Eskalation, denn: WIR KÖNNTEN GENAUSO GUT TOT SEIN! Aber wie so oft in Filmen, deren Konstrukt allein ein großes Sinnbild formen soll: Sie erschöpfen sich schnell, ist dieses erst einmal durchschaut.

Sinelnikovas Satire erstarrt in ihrer Komik, bleibt allzu kontrolliert, scheut leider den Exzeß. Bleiben also vor allem faszinierende Blicke auf die Stimmungsräume dieses Panoptikums, in dem sich alle gegenseitig überwachen. Das Treppenhaus, das sich zum verschlingenden Schacht formt. Die Tristesse der gleich aussehenden Etagen. Der kühle Wind, der draußen einen Hauch von Postapokalypse durch die Landschaft bläst. Drinnen wähnt man sich noch in Sicherheit. Einen bösen Blick, wie ihn die junge Iris zu haben glaubt, braucht es durchaus, um all die Scheinheiligen in ihrer vermeintlich perfekten Idylle zu entlarven. Unweigerlich tröstet irgendwann allein der Gedanke an deren Tod.

[ Janick Nolting ]