Originaltitel: THE SUBSTANCE
GB/USA/F 2024, 141 min
FSK 16
Verleih: MUBI
Genre: Horror, Satire
Darsteller: Demi Moore, Margaret Qualley, Dennis Quaid
Regie: Coralie Fargeat
Kinostart: 19.09.24
Spieglein, Spieglein ... und so weiter. War es doch schon zu Grimms Märchenzeiten so, daß immer andere entscheiden, wer noch schön genug ist, ab wann Gefahren von der Beauty-Überholspur lauern, wer eigentlich aussortiert werden kann. Elisabeth Sparkle hockt auf der Abschußrampe, auf ihrem rissigen Stern am Hollywood-Boulevard machen Hunde ihr Geschäft, der einstige Filmstar hält sich mit einer Fitneßsendung im TV über Wasser. Aber dem mit irrer Grandezza von Dennis Quaid gegebenen Sender-Boß ist Elisabeth mit über 50 auch dafür wesentlich zu alt, er sabbert nach was Frischem, im Prinzip einer Wiedergängerin von Elisabeth, auf der Altersskala aber 30 Jahre südlicher. Wie abgefuckt der Medienzirkus bisweilen funktioniert, zeigt allein die Tatsache, daß Elisabeth fit ist, noch sehr gut aussieht und dafür wahrlich alles tut – also Sport, Ernährung und die intensive Freundschaft zum Chirurgen ihres Vertrauens. Demi Moore ist daher prädestiniert für diese Rolle, doch dazu später.
Nach einem Autounfall wird Elisabeth eine Nummer zugesteckt, der Anruf wird existenzverändernd sein, im Wortsinn. Elisabeth erhält ein Serum, das, einmal injiziert, nichts weniger als eine jüngere Version ihrer selbst verspricht. Um „Sue“ zu werden, gilt es für das alte und neue Ich, nur eine einzige Regel einzuhalten – jeweils nach einer Woche muß dem übrigen Ich ein weiteres Serum gespritzt werden. Und wird von Sue und Elisabeth das Injektionsprotokoll aus Aktivierer, Stabilisator und Wechsler eingehalten, dann ist alles prima. Wir sind aber im Kino und wissen daher, daß in dieser abgefahrenen Geschichte eben gar nichts prima bleiben kann. Zur unbändigen Freude eines furchtlosen Publikums ...
THE SUBSTANCE ist tatsächlich ein sehr sinnlicher Film, genregemäß in abgründigen Tönen, und wer bisher meinte, er habe durch die Filme David Cronenbergs etwas von Body Horror verstanden, den setzt Coralie Fargeat noch mal auf die Schulbank. Ihr Film ist Exzeßkino vom Feinsten, eine Phantasmagorie von magendrehender Schönheit, wirklich kein Bild wird dem Zufall überlassen, jede Einstellung ist von berückender Erlesenheit. Natürlich ist THE SUBSTANCE unübersehbar satirisch, aber eben auch eine knallharte Abrechnung mit einem an Idiotie grenzenden Schönheitswahn. Nicht als plumpe Attacke, vielmehr eine in den Zwischentönen subtile Geschichte übers Älterwerden und Geliebt-seinwollen, über Verzweiflung und Einsamkeit, wenn der Ruhm verblaßt, über die eiskalte Leere in durchdesignten Penthouseräumen.
THE SUBSTANCE führt uns dabei auf freche Art vor, wie alt das herkömmliche Kino geworden ist, schläfrig regelrecht in seiner Sehnsucht nach ewigen Aufgüssen, THE SUBSTANCE läßt es aussehen wie ein erschöpfter Erfüllungsgehilfe verschnarchter Sehgewohnheiten. Fargeats Blut-und-Schweiß-Oper ist genau die Frischzellenkur, die das Kino so dringend braucht, und sie entblättert Ungeahntes, wozu gehört, daß Demi Moore eben doch eine großartige Schauspielerin ist: uneitel, angstfrei und bei diesem Sujet mit Selbstironie gewappnet. Fargeat hält auch uns als Zuschauer den Spiegel vor, denn Hand aufs Herz, schauen wir nicht alle aufs Älterwerden (der anderen) eher mit einem schon zoologischen als nüchtern entspannten Blick?
Keine Frage, es gibt Momente, die zum Wegschauen verleiten, denn Fargeat erzählt im Fortlauf des Films zunehmend radikaler, orgiastisch geradezu, sie macht ernst mit ihrer Attacke auf müde gewordene Kinoaugen, und sie liebt das Genre des Body Horror mit jeder Pore. Aber wer auch nur ein Bild verpaßt, hat reichlich Grund zur Reue. Noch zu erwähnen sei, daß Fargeat zu den wenigen modernen Filmemachern gehört, die wirklich noch etwas von einem Showdown verstehen, der auch den Namen verdient. Ihre Elisabeth macht keine Gefangenen in der Schlußphase ihrer entglittenen Transformation in ein anderes, nun, Wesen trifft es nicht ganz, sagen wir, in einen anderen Aggregatzustand. Selbst dem Zuschauer, der immer bereit war, dem Kino in seiner Kunstfertigkeit vollste Entfaltung zuzusprechen, bleibt nach dem Abspann nur, offenen Mundes und augenreibend den Saal zu verlassen ...
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.
Kinobar Prager Frühling: Best Of 2024/OmU 20:15
Alle Angaben ohne Gewähr!